Kurzreferat zum Wessenbergtag 2003

H

KOMMENTARE ZUM ÜBERFLUSS

Heiterkeit und Eitelkeit des geschichtlichen Menschen

Ein Aargauer vor 200 Jahren betritt unser Land

Johann Philipp von Wessenberg ist außerordentlich bevollmächtigter Delegierter der Schweiz beim Verfassungskonvent der EU unter der Leitung von Giscard d´Estaing. Er hat die Mission unter der Außenministerin Micheline Calmy-Rey aus Genf übernommen, welche ein neues pragmatisches Weltverständnis der Schweiz gestalten möchte. Wessenberg ist ein Aargauer aus der alten Grafschaft Baden. Seine Vorfahren hatten ansehnlichen Besitz, Dörfer und Güter, welche zum Schloss Wessenberg gehörten. Darunter zählten die Dörfer Mandach, Etzwil, Villingen, Rinding, Ottendorf, Böttstein, Katzenbötzen, Eringen und weitere. Einige Schlösser verpfändete ein Vorfahre mit der Genehmigung des Erzherzogs von Österreich. Vielleicht war es gut so, dass das im habsburgischen Urbar verzeichnete Amt „uffem Walde und ze Waldshut, das der Herzog Leopold als „unser herrschaft Baden“ 1316 den Herren von Wessenberg zum Lehen gab. Verschont blieben sie ja nicht von den Eroberungen der Eidgenossen und da man weites Land suchte, so verkaufte man Schlösser und Güter und zog in das verwandtschaftliche Territorium der Pfirter, der Blarer, der Rotberg, machte noch eine Allianzheirat mit den Habsburg-Laufenburg, blieb dann aber in ritterlicher reichsunmittelbarer Verbundenheit mit denen von Wartenfels, den Eptingen, den Landenberg-Greifensee, den Gachnangs, den Schönenbergs, den Ratbachs, den Bollwillers, den Freundsteins, den Mülinens, den Krotzingens, den Reichsteins, den Sickingens, den Osteins, den Falkenstein-Rimsingens, den Schönaus, den Kagenecks und nicht zuletzt neben anderen den Ampringens – alles Familien mit Besitz und Schlössern beidseits des Rheins, im Elsass und im Schwabenland, im alten Fürstbistum Porrentruy bis hinunter ins Burgundische, ja an der sogenannten Burgunderpforte. Und das umfasste mehr als 5 Jahrhunderte. Dann erst wollen wir zur Aufklärung beitragen, zur Vernunft ein Halali blasen hören!

Jetzt sind wir immer noch bei der Mission eines - wie wir vernommen haben - an bedeutender Verwandtschaft reichen jungen Diplomaten Johann Philipp von Wessenberg. Die Zeiten haben sich geändert. Man hat keine Vettern, die einem da und dort die Suppe auslöffeln, nein man steht mit knöchernen und verkrampften Einzelkämpfern, mit sogenannten Demokraten an der Front und die ist keine einfache diplomatische Kamarilla, nein die nennt sich auch einfach G8 und das sind Bosse, Potentaten, Regierungschefs, eben Demokraten, die ihren letzten Gewinn an wirtschaftlichen Vorteilen verteidigen. Und da sind Barrikaden, da kommen Demonstranten – auch Demokraten, oder, und die machen den G8telern und den EUlern Angst. Nur Calmy-Rey zeigte keine Angst. Sie wollte nur nicht den Bush! Denn dort lauerten die Geheimdienste mit versteckten Waffenlagern und darauf wollte man schießen, Also der Bush in den Busch, wo sich die Bösen, eine Allianz des Bösen versteckt hält. Na ja, jetzt müssen wir schon von dem Kern der Sache reden. Das ist nicht der berühmte Verfassungskern der Schweizer, ein Thurgauer, breitschultrig – ein Vater der schweizerischen Bundesverfassung von 1848. Nein, der Kern ist Europa. Und Wessenberg hat erkannt, dass Europa kein Kind der Liebe ist, sondern der Sachlogik. Und in der Sachlogik kennen sich die Schweizer aus. In der Liebe auch – oder? Auf jeden Fall gibt es jetzt den neuen Verfassungsentwurf und der sagt: In diesem Europa haben nicht die Bürger das letzte Wort, sondern die Experten und die Funktionäre. Das wusste man in der Schweiz schon lange. Dort weiß man ja das Problem zu lösen, in dem man alle Bürger zu Experten macht. Dann ist es einfach mit dem letzten Wort – in der Politik meine ich.

Wessenberg sagte als nicht stimmberechtigter Teilnehmer am Verfassungskonvent, man müsse einen Auftritt machen, der sich gewaschen hat. Also eine Machtdemonstration im EXPO-Stil, der alle Aufmerksamkeit auf die Schweiz lenkt. Er hatte da ein Vorbild: Die aargauische Kantonsregierung hat sich im Berner Bundeshaus präsentiert und da wurden alle Anstrengungen unternommen die Herrschaften zu überzeugen, dass 200 Jahre Aargau und gleichzeitig noch andere wichtige Bestandteile des Staatswesens einer besonderen Berücksichtigung bedürfen. Die Mobilmachung fand mittels Party-Service statt. Es wurden nach Bericht der Aargauer Zeitung vom 18.Juni  50 Kilogramm Kulinarisches aufgefahren, Rauchlachspasteten, gefüllte Artischocken, Roastbeef, Vitello Tonnato und mehrere Laufmeter Brot. Dazu als Aargauer Spezialität Truffes und Nougat der Aargauer Confiserie Brändli. Und so viel Wein, dass der Aaargauer SVP Nationalrat Walter Glur wie einst in einer Debatte erneut für einen Alkohol Grenzwert von 0.8 Prozent statt Promille hätte plädieren können: 64 Flaschen Fricker Blauburgunder und 84 Flaschen Elfinger Riesling˘ Sylvaner. Alles aus der aargauischen Staatstrotte Frick. Der Berichterstatter Martin Furrer berichtet sehr eindrucksvoll: Die Flaschen stehen schon in Reih und Glied. Dann tröpfelt die politische und wirschaftliche Prominenz ein.“ So weit ein Bericht von der Beeindruckung im Sinne des Kantönligeistes!

Johann Philipp von Wessenberg wollte die Leute nicht in Vergessenheit geraten lassen, die Herrschaften welche vor 200 Jahren die Arbeit gemacht haben, warum jetzt gefeiert wird, eben am richtigen Ort miteinander, das Volk hatte ja schon Brot und Spiel und Tunnel auch!

Wenn Wessenberg eine Einladung aussprechen würde, dann sicher nach Schloss Böttstein, war das doch auch einmal ein Wessenbergsitz (im 14.Jahrhundert hatten die Wessenberg dies als habsburgisches Lehen erhalten). Auf diesem Landschloss gibt es auch einen „Wessenbergsaal“ und dort wollen wir jetzt die ganze Prominenz, welche sich 1848 im schweizerischen Nationalrat eingefunden einladen und über die Mediation und die Folgen referieren und diskutieren, nicht zuletzt auch der Architekt des Bundesstaates Friedrich Frey-Herosé

Ein Journalist drängt sich vor und er wird zwar kurzerhand von der Brugger Starjournalistin Lis Frey an der Hand hinausgeführt, seine Zeit scheint schon abgelaufen zu sein, doch sein Bericht ist noch zu lesen (in der Neuen Rheinischen Zeitung vom Dezember 1848):

Wenn man die Tribüne des Nationalrats betritt, so muss man sich wundern über die Mannigfaltigkeit der Figuren, die das Schweizer Volk zur Beratung seiner gemeinsamen Angelegenheiten nach Bern geschickt hat. Wer nicht vorher schon einen guten Teil der Schweiz gesehen hat, begreift kaum, wie es möglich ist, dass ein Ländchen von ein paar hundert Quadratmeilen und nicht dritthalb Millionen Einwohnern eine so bunte Versammlung zustande bringen kann, scharf markierte Gesichter, ziemlich viel Bart, sorgfältig gepflegtes Haar, moderne Kleider nach Pariser Schnitt, die Repräsentanten der französischen und italienischen Schweiz, die Welschen; hinter diesen sitzt eine kurios gemischte Gesellschaft über deren Kostümierung die Hand einer gewissen Zivilisation hinweggegangen ist, dann schweizerische Offizierstypen, mehr feierlich als kriegerisch in Gesicht und Kleidung etwas veraltet, dann das Gros, bestehend aus unbeschreiblich physiognomierten und kostümierten ältlichen und altfränkischen Herren, jeder verschieden – ein Typus für sich und meistens eine Karikatur.

Das war ein Stückchen Karl Marx´sche Schweiz!

Also die Herrschaften haben unseren Wessenbergsaal zu Böttstein betreten und da wird schon ein Streit vom Zaun gebrochen. Die Agenda, was ist mit ihr? Na ja, die einen wollen die Helvetik behandeln, die anderen zuerst die Tagsatzung und die anderen zuerst die eigentlich Geschichtschronologie, das historische Bild des Aargaues, der Schweiz im Allgemeinen. Aber kommen wir da nicht vom Hundersten ins Tausendste? Und plötzlich stecken wir in einem Tal voll Blut. Wir stecken mitten im Landschaftstheater  von Entlebuch im Bauernkrieg von 1653. Man sieht die Gewichtungen. Den Leuten ist es wichtig zu sagen, was sie bedrückt. Diese Untertanensituation, die Not der Landbevölkerung, dann die Revolution, also die von Frankreich hereingetragenen neuen Freiheiten, die Abschaffungen der Untertanen, aber dann kam es knüppeldick, wie schon der Bauernkrieg vor über 350 Jahren im Aargau in Wohlenschwil entschieden wurde, allerdings für die Obrigkeiten, so ist auch nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Weltreichs und mit ihm die Mediation, die Vermittlung von Volk und Regierung durch fremde Gewalten zerstört worden.

Johann Philipp ist ein versierter Diplomat und er hat die schweizerischen Angelegenheiten immer schon mit den richtigen Personen zu behandeln und verhandeln gewusst.

Noch einmal geht ein Entrüstungssturm durch den Wessenbergsaal. Man verlangt nach dem letzten Bistumsverweser von der größten deutschsprachigen Diözese, von Konstanz. Sie umfasste große Teile der Schweiz und der liberal gesinnte und von Rom angefeindete Bruder von Johann Philipp von Wessenberg, der legendäre Ignaz Heinrich, Freund von Zschokke und mit den alten Haudegen der Schweizer Geschichte, den Müllers, ganz gleich welches Vornamens, besten vertraut, bei den Gelehrten, Dichtern und Verlegern der Schweiz. ein Vorbild, sei es der Pestalozzi, der Gessner, der Füssli, der Lavater, der Bonstätten, der Merian, die Burkhards und so weiter und so weiter. Das Thema: Der Aargauer Klosterstreit natürlich. Will man den unter den Teppich kehren? Da war doch der Ignaz Heinrich der vernünftige führende Kopf. Ein wirklich schwieriger Stand für den europaorientierten kosmopolitischen Geist seines Bruders, für Johann Philipp, den Königmacher von Belgien, seinem Freund Leopold I, von Sachsen-Coburg und den Beschützer der habsburgischen Erzherzogin als französische Kaiserin, von Marie Louise. Und das war oft nötig beim Opportunisten Metternich, der darüber hinaus noch sein Vetter war.

Warum geht es? Wir stehen vor 2 Wessenbergen. Einer ist nicht größer als der andere und doch sehr sehr verschieden. Ganz tief in die aargauische Geschichte taucht freilich der mit den Sachproblemen und Alltagsthemen vertraute Regierungspräsident Ignaz Heinrich von Konstanz ein. Und viel kann der kluge und intelligente Allround-Diplomat Johann Philipp tun – sein Einflussbereich ist auf der höchsten Ebene der Diplomatie, bei Kaisern, Königen, Usurpaten, Zaren, Fürsten und er besitzt Freunde. Diese Freunde sind goldrichtig. Es sind die Leute am richtigen Ort, zur richtigen Zeit. Zum Beispiel der Habsburger Erzherzog Johann. Von Loosdorf in Niederösterreich über die Regierungsstellen in Konstanz und Freiburg, zu den Mediationsverhandlungen nach Paris, als Gesandter in München, Berlin und Frankfurt, als Kongressbevollmächtigter in Wien (1818/15) und in London 1831 und nicht zuletzt in der Paulskirche zu Frankfurt im Jahre 1848. Der eine Johann ist Reichsverweser des ersten parlamentarischen Versuchsballon deutscher Provenienz, der andere schreibt die erste deutsche Verfassung und Johann Philipp von Wessenberg wird zudem als Nachfolger von Metternich an die Spitze des ungeheueren Staatsgebildes Österreich-Ungarn als Ministerpräsident und Außenminister berufen.

Also kein schlechter Zeuge für unser Gespräch mit den 200jährigen im Wessenbergsaal zu Böttstein. Wer ist anwesend?

Zuerst eine Entschuldigungsdepesche von Stapfer. Philipp Albert ist in Paris und dort halten ihn gesellschaftliche Verpflichtungen fest. Seine Frau ist ja Französin und ihr Ansitz bei Fourtainbleau ist umschwärmt von Prominenz und natürlich Paparazzis. Der 1. Landammann der Helvetik, der Comte Louis d´Affry hat verkünden lassen, er komme nur, wenn sein Protektor Napoleon Bonaparte anwesend sei. Ein Witzbold, ich weiß nicht welchen Teufel da den Zürcher Bürgermeister Reinhard geritten haben mag, der brachte einen ausgestopften Jungbären. Seine Mutter wurde angeblich 1798 aus dem Berner Zwinger befreit und nach Paris geschleppt. Ihr Schicksal ist unbekannt, dafür verendete das Bärenkind und die Berner haben nun tatsächlich mit ihrem Bären ein Problem. Aber vielleicht haben sie es ja noch nicht bemerkt!!?

Übrigens zu den Biographien der Herrscher zur Zeit um und nach Napoleon ist zu bemerken:  Sie haben sich oft geändert. Der eine Fürst wurde von Bonapartes Gnaden König, so der Württemberger,  und dann ist da nicht der Reichdeputationshauptschluss, eine sehr weise Einrichtung zur Zerstörung der Adels- und Kirchenprivilegien der damaligen Zeit zu erwähnen?  In Schussenried in Baden kann man die Schätze der aufgehobenen Klöster bewundern, welche rasch von den oft frischen und jungen Königen an sich gerissen worden sind. Auch ein Franzose, der berühmte Talleyrand hat sich vom dem Napoleon nachfolgenden Ludwig dem 18., einem Bourbonen seinen Fürstentitel wieder wegnehmen lassen müssen, allerdings hat´s nichts genützt. Er trug ihn munter weiter!

Jetzt genug von den Hinweisen auf gekrönte Häupter. Jetzt geht’s in medias res. Wie bei den griechischen Sieben Weisen, da gibt es auch einen Siebner Ausschuss in der Schweizer Geschichte und es gibt auch einen Solon, denn so nannte der Johann Philipp von Wessenberg den Thurgauer Anderwert.

Der Kies vom Schlosshof in Böttstein knirscht, er knirscht unter dem verschiedensten Schuhwerk, der Brunnen fließt inmitten des Schlossgartens, manchmal ein Rinnsal. (Dafür wir haben ja genug Wasserdampf gleich um die Ecke beim AOK.)

An der Stirnfront des Wessenbergsaales hängen 5 große Landkarten und. Dargestellt sind die Feudalherrschaften um 1218, die acht alten Orte zwischen 1353-1385, die Eidgenossenschaft zwischen 1536-1797, die Eidgenossenschaft seit 1815 und die Karte des Bezirks Brugg mit ihren 34 größeren und kleinsten Gemeinden (ich hoffe ich habe mich nicht verzählt!).

Johann Philipp von Wessenberg geht kurz auf die Geschichtskarten ein, wobei zu sagen ist, dass vor 200 Jahren die Grenzen einfach ein bisschen anders aussahen. Und noch ein Blick weiter zurück bis ins Hochmittelalter zeigt den Aargau als einen Teil des Königreichs Burgund, das seinerseits zum Hl. Römischen Reich Deutscher Nation gehörte. Der Aargau (lat.Argovia, auch Araris pagus, Arguna, Argogia und Argoya genannt) wurde 763 erstmals genannt.  Um 861 unterscheidet man erstmals den Unter- und Oberaargau. Mit dem quasi Erlöschen des Grafengeschlecht der Kyburger – ich bin da vorsichtig, denn es gab immer Nebenlinien, die sehr stark in Allianzen fortgewirkt und gestaltet haben – übernahm die damals breit angelegte und auch rivalisierende Familie Habsburg weite Herrschaftsgebiete im sogenannten Aargau, der aber für mich auch bis in das Elsässische und Breisgauische hineinreichte. Sicherlich blieb ein bestimmter Teil der habsburgischen Lehen noch lange bestehen, so etwa die Herrschaft Laufenburg. Doch dann gab’s Vorderösterreich, da gab’s Freie Ämter, den Berner Aargau, Fricktal, den österreichischen Sundgau und den reichsunmittelbaren Adel und der gab’s nicht billig, es war einfach ein Fleckerlteppich und wer waren die Nutznießer? Wenn sie die Schweizerkriege, zum Beispiel die 4 Hegauzüge nehmen, also von Waldshut und von Zürich und von anderen Orten in Richtung Schwabenland, zu den Herrschaftszentren der Habsburger und ihrer Vasallen, den Fürsternbergs und so fort  - um 1499 war der letzte Hegauzug Richtung Engen - , dann weiß heute niemand, wer dazu gehörte, ich meine zu den Schweizern, da kämpften die Mülinen, die Wessenberg auf Seiten der Habsburger (wie etwa in Sempach –  die Gräber sind zu besichtigen in Königsfelden) und dann stehen sie vor unseren Augen als Gestalter der Schweiz, als Regierungschefs von Österreich, als Beamte und Offiziere Frankreichs, Badens und anderer Mächte, die so rasch verschwinden wie sie gekommen sind. e>HegHHHHH Johann Philipp sagte es den Delegierten des Konvents von Böttstein gleich klar und deutlich. Ausländischer Druck mit ständigen Gebietsforderungen der alten Kantone. Kein Wunder, zuerst die Verfassung von Malmaison, also französisch, napoleonisch, aber bürgerlich und zentralistisch, dann die Verfassung 1803 aus den Tuilerien, die Mediationsverfassung von Napoleon, noch 1. Konsul sich alsbald zum Kaiser schickte. Wir haben also hier die Gäste, die vor 200 Jahren in Paris zu reüssieren trachteten und wir haben die Diplomaten und Kenner der weltpolitischen Szene, welche sich mit Ach und Krach zum Bundesvertrag von 1815 nach dem Wiener Kongress geschleppt haben und gezogen wurden. Und Johann Philipp sagte den Freunden von vor 200 Jahren: „Schaut Euch doch die Wochenschau 1998  zu den 150 Jahrfeiern des Bundesstaates aus Zürich im Internet an. Klickt Euch doch durch die Interviews mit einem Johann Anton Capodistria, dem Sonderbotschafter des russischen Zaren.

Johann Philipp hat hier eine Grenze zum Big Brother-Phänomen überschritten.  Wie in einem Käfig sitzen die Geschichtsfiguren und spielen ihre Rolle, da ein Blick auf den damaligen Boulevard Europas, auf Wien, so nannte ihn Talleyrand gegenüber dem Schweizer Finanzexperten d`Ívernois, dort den im Schulmeisteranzug im Schloss von St. Cloud zu Paris weilenden Pestalozzi. Und da kommt der erste Konsul im „hochrot sammtenen reich goldgestickten Staatskleid mit weißen Strümpfen goldenen Schuhschnallen einem Degen mit Diamantknopf und einem Federhut“. Wessenberg ist versucht, den guten edlen Pestalozzi vor dem Sieger von Monte Notte zu schützen. Die Aargauer Zeitung hat die edle Tat vollbracht und in ihrer Sondernummer Artepage Aargau in ihrer Aufzählung der 200 bedeutendsten Aargauer, Pestalozzi vor Napoleon zu reihen. Also Nr. 1 der Pädagoge, Landwirt, Schriftsteller, Zeitungsgründer und Hobbypolitiker Pestalozzi und Nr. 2 Napoleon Bonaparte und ich zitiere aus der Aargauer Zeitung: Der kleine Korse hat für den Aargau Großes geleistet – er hat ihn erfunden. Nach dem Niedergang des Ancien Regime geriet die Schweiz in Aufruhr, die Anhänger der neuen und der alten Ordnung lagen miteinander in einem erbitterten Streit. Des helvetischen Konfliktes um Staatsreform und Gebietsinteressen überdrüssig, griff Bonaparte zur Feder, erließ die Mediationsakte und schuf damit den Aargau.

Jetzt ist der Wessenbergsaal im Schloss Böttstein gefüllt. Es sind fast alle 70 Delegierten der Consulta von Paris eingetroffen. Johann Philipp hatte ja damals im Winter 1802/03 in Paris ein bisschen für die Österreicher herumspioniert. Wollen wir es vielleicht doch Interventionsarbeit nennen. Auf jeden Fall hat er sich damals schon bemüht Napoleon besser kennen zu lernen. Freilich kam der Kaiser und Feldherr doch nicht nach Böttstein. Und prompt kam auch Monsieur d´Affry, der 1. Landammann der Helvetik nicht. Doch es war schön, dass es Stapfer gelungen war, einige seiner Bekannten aus Paris, nämlich die berühmt berüchtigte, ja die Erzfeindin von Napoleon den I, Madame de Stael zu gewinnen, sowie ihren Sohn Auguste de Stael, den Erzieher seiner Söhne, den nachmaligen Minister und Historiker Guizot und andere mehr. Eines weiß ich jedenfalls mit Sicherheit: Der Kurator vom Arenenberg-Napoleonmuseum, der heuer ein großes Fest mit den Besuchern der ehemaligen Königin von Holland, der Stieftochter Napoleons I und Frau von dessen Bruder Louis am Untersee und auf der Insel Reichenau feiert, wird sicherlich vor Neid erfüllt sein. Kommen doch auch noch die Bekannten und die Mitglieder der bestens funktionierenden „working relationsship“ beim Wiener Kongress, an der Spitze der berühmte Charles Pictet de Rochemont dazu. Dieser Letztere hat sich in der Schweiz ein bisschen schwer getan. Man hat ihm nicht das pouvoir zugetraut, welches er mit seiner Statur und seinem diplomatischen Geschick bei den Verhandlungen zu Wien für die Schweiz bewiesen hat. Die Schweizer Politiker mit ihren über 200 Jahren am Buckel, die wollten unbedingt ihren Zar Alexander von Russland begrüßen. Schwer möglich, eher schon der Waadländische Politiker und Freund Alexanders der hervorragende Politjoungleur Frédèric César Laharpe, der seinen Heimatkanton von dem riesigen Appetit Berns retten konnte. Auch Johann Philipp wurde von den Delegierten des Böttstein-Konvents über eine neue europäische Perspektive der Schweizerischen Mediation spontan gefeiert. Man hob seine Verdienste bei der Vierten Sitzung des Wiener Kongresses am 30. November 1814 hervor, wobei er als Kongressbevollmächtigter federführend die Ansprüche Berns auf die Kantone Waadt und Aargau zurückgewiesen hat und betonte, dass die einmal erlangte Selbstständigkeit des Aargaues unantastbar bleiben soll. Da auch Preußen, England und Russland Wessenbergs Vorschlag zustimmten, so wurde der endgültige Beschluss in diesem Sinne gefasst.

Damit ist die seit 1798 verlorene Selbstständigkeit der Schweiz im Wiener Kongress mit der Auflage einer immerwährenden Neutralität wiedererlangt worden. Die Schweiz erlangte die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und Neutralität als Gesamtstaat auf föderativer Grundlage.

Bei diesem Tagesordnungspunkt sprachen viele Delegierte im Wessenbergsaal aufgeregt durcheinander, war doch durch die Aufhebung der Mediationsakte in vielen Kantonen ein neuer Wirrwarr der Tagsatzungen und aller anderer politischer Ämter entstanden. Also die Ziele des Wiener Kongresses, nämlich die Restauration, trat in der Schweiz leider in negativer Weise in Kraft, nämlich durch eine Wiederauflage von Herrschaftsstrukturen alter Prägung, die Legitimität ist auch zum Problemfall geworden, der eine neuerliche revolutionäre Welle erzeugte, denn wenn man dem Volk ein Widerstandsrecht gegen die von „Gottes Gnaden“ ernannten Souveräne verweigert, dann kracht’s sicherlich im Gebälk. Und drittens stand auch kontraproduktiv die Solidarität, welche nichts anderes meinte, als die gemeinschaftliche Grenzsicherung, also innenpolitisch die Bekämpfung von außen hereinkommenden staatsumwälzenden Gedanken.

Hier kamen nun die Patrioten der ersten Stunde zu Wort und Wessenberg sehnte sich nach dem kleinen Bruder in Konstanz, der ja so viele Freunde im Aargau hatte.

Und wie von der Vorsehung gerufen, da stand der bedeutende Schriftsteller, Politiker und Pädagoge Heinrich Zschokke auf – leider steht er unter den 200 wichtigsten Aargauern erst an 15. Stelle - und rief in den brodelnden Wessenbergsaal hinein: Mein treuester Freund und Weggenosse in der Schrift (der bedeutende Briefwechsel erschien 1990 als Quellenwerk zur Schweizer Geschichte in Basel) Ignaz Heinrich dichtete über den in Konstanz in der heutigen Wessenbergstrasse geborenen nachmaligen Genfer Emigranten und späteren Chef des eidgenössischen Generalstabs, General Dufour, den Sieger der Tagsatzungstruppen gegen den Sonderbund 1847, dessen Milde als Staatsmann und Militär sein größter Verdienst war und der 1864 Mitbegründer des Roten Kreuzes wurde. Den Bruder Johann Philipp von Wessenberg lagen die Worte  Ignaz Heinrichs im Gedächtnis und Zschokke deklamierte vor den Mitgliedern des Bundes, den Vertretern der Helvetischen Gesellschaft, vor der sogenannten „eidgenössischen Pflanzschule“, vor den Bonstettens, den von Salis und vielen vielen bedeutenden Männern aus den ehemaligen Untertanengebieten die Strophen:

Dufour, du strahlst im reinsten Heldenglanz, das Haupt mit ew’gem Ruhm bedeckt, der wunderschöne Siegeskranz schmückt dich, weil ihn kein Fluch bedeckt.

Wie Caesar nicht, in Strömen Bluts, hast du gelöscht den Bürgerbrand dem Scharfblick deines Edelmuts verdankt sein Heil das Vaterland.

O edler Sieg, dem jeder weicht, der höchsten Bürgerkrone wert!

Das freie Volk das dir sie reicht, sich selbst wie den Empfänger ehrt.

Abschließend möchte ich noch sagen dürfen, dass Geschichte oft traumatisiert. Wir gehen aus unserer fiktiven Versammlung im Schloss Böttstein mit dem Wunsch nach mehr Geschichte und wir träumen von den alten Räumen unserer Vergangenheit, von Plätzen, die schön sind, etwa wie das Wasserschloss oder der Flösserweg und dann möchte ich Ihnen allen wünschen, dass diese Wege keine Grenzen mehr haben, dass sie über die nationalen Geschichten hinausgehen in die wahren Geschichten unserer alten uralten Familien, die zusammenlebten und zusammen um ihr Leben kämpften, nicht nur im Aargau von da bis dort, sondern bis dort, wo mancher Vorfahre mit mörderischer Lust und kämpferischen Geist hingezogen war, gerade dort lasst uns mit den Ideen, den Phantasien und allen neuen schönen Errungenschaften unseres modernen Lebens kommunikativ sein. Ein Hegau ist nicht weit und Engen ist zwar eine enge alte Stadt, aber wunderschön, so wie Brugg, Baden und Zurzach... und wussten Sie, dass gerade Zurzach einst zum Einflussgebiet der Reichenauer Mönche vom Bodensee-Untersee zählte? Darüber möchte ich auf Einladung der Historischen Vereinigung vom Bezirk Zurzach im November Näheres berichten. Aber schon Ende des Sommers im September wird wieder eine Begegnung der Wessenbergfreunde stattfinden. Anlässlich meines letzten Vortrages in Gottlieben im Juni, im Gräflichen Bodman-Literaturhaus unterhalb vom Arenenberg am Untersee hat der anwesende Bürgermeister von Hartheim-Feldkirch (einer der bedeutendsten Sitze der Familie von Wessenberg-Ampringen im Breisgau) mich zu einem Vortrag über die Familiengeschichte offiziell eingeladen. Alle Informationen darüber erhalten Sie über das Internet auf unserer Homepage der Wessenberg-Akademie www.wessenberg.at

Übrigens ganz zum Schluss die Bemerkung: Ich habe genauso wenig die Pächter, Verwalter oder Eigentümer des Schlosses Böttstein jemals kennen lernen dürfen, genauso wenig wie mein Urgroßvater vor rd. 200 Jahren. Bleibt also dem Nachfahren gleich wie dem Vorfahren nur der Gedanke an einen Willkomm in der alten Heimat!

Juli 2003

© Prof. Peter Heinrich von Wessenberg

Wessenberg-Akademie, CH-5277 Hottwil

 

Ausgewählte Literatur:

Dr.Robert Vögeli, Die Anfänge des landwirtschaftlichen Bildungswesens unter besonderer Berücksichtigung des Aargaues, Feuz, Bern, 1962

Hg.R.Herzog u. O.Pfyl: Der Briefwechsel von I.H.v.Wessenberg mit Heinrich Zschokke, Krebs, Basel, 19190

Alfred Ritter von Arneth, Johann Frh.v.Wessenberg, 2 Bde. Braumüller, Wien, 1898

Alle Publikationen der Historischen Gesellschaft Aargau, Insbes. W. Merz, Bürgerrecht und Hausbesitz in den aargauischen Städten, Nr.33, 1909

Albert Portmann-Tinguely, Artikel über Philipp Albert Stapfer, In: Biogr.-Bibliogr.Kirchenlexikon, Traugott Bautz, Bd.X, 1995

Internethinweis auf „Bauernkriege 1653“ siehe:www.bauernkrieg.ch (auch Artikel in NZZ, 28./29.6.03 von Martin Merki, S.15 Inland)

Beat Junker, Geschichte des Kantons Berns seit 1798, Bd.1, 7/98 Historischer Verein d.Kantons Bern

Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jhdt., Die Grundlagen der neueren Geschichte, Herder Freiburg, 1965, S.174ff

Brigitte Hamann, Die Habsburger, Ein biographisches Lexikon, Überreuter, Wien, 1988