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"Wenn
die Studenten es erlauben..."
DAS BILD EINES MANNES VON
1848
von
Peter Heinrich Wessenberg
Die
Berufung eines im 54. Dienstjahr befindlichen 75-jährigen Diplomaten
in die Wirren der Revolution. Warum wurde Johann
Philipp Reichsfreiherr von Wessenberg-Ampringen in die
verantwortungsvollste Position seiner Zeit gesetzt? Weshalb hat die
Geschichtsschreibung in Österreich für die Extremleistungen dieses für
das Haus Habsburg am längsten
dienenden Diplomaten keinen würdigen Platz gefunden?
Erzherzog
Johann, von der Frankfurter Paulskirche und der Bundesversammlung
anerkannter Reichsverweser berief in dem Augenblick, in welchem 1848
die Volksbewegung in Deutschland ausbrach, Johann Philipp Baron
Wessenberg zum österreichischen Bundespräsidialgesandten mit den
Worten : "Es würde mich unendlich freuen, wenn Sie 'ja' sagen
wollten, denn ich weiß, dass Sie das Terrain und die Leute kennen,
das Eine und die Anderen zu behandeln wissen, kräftig und patriotisch
gesinnt, daher in allen Beziehungen für die Lage passend sind.."
Wer
war nun dieser, wie er von seinem Biographen A.v.Arneth (Ein österr.Staatsmann
des 19.Jhdts., Wien, Braumüller 1898) aus dem 48iger Jahre
charakterisiert wird, dieser kleine, unscheinbare, schon hochbetagte
und gebrechliche Johann
von Wessenberg?
In
einem kleinen Schlösschen namens Feldkirch, im Badischen (einmal hieß
es auch "Vorderösterreich") nahe dem Rhein, erfuhr der aus
einem uradeligen Geschlecht von der Burgunderpforte her stammende
sechzehnjährige Jüngling das Jahr 1789, und die Ereignisse in
Frankreich erregten höchstes Interesse und
wurden von der Familie Wessenberg als heilsame Reaktion gegen
die immer tiefer ins Mark gedrungene Verderbtheit aller Zustände
freudig begrüßt. Die Meinung war, dass jeder etwas Gebildete
zu den Freunden dieses Aufschwungs zählen musste,
besonders anlässlich des Zusammentrittes der französischen
Nationalversammlung. Golo Mann schrieb einmal: "Die Revolution
von 1789 hat eigentlich niemand vorausgesehen, sie kam von selber,
machte sich selber. Die Revolution von 1848 wurde gemacht, sie kam,
weil sie vorausgesehen wurde."
Johann
Philipp traf bei seinen ersten Dienstleistungen als Beobachter bei der
Armee den jungen Erzherzog Johann, mit welchen ihn ein Leben lang bis
zum Sterbebette ein herzliches Verhältnis verband. Es ist
erstaunlich, wie wenig von den fruchtbaren Dialogen (Briefen und
Dokumenten) zwischen diesen beiden in die Betrachtung von Historikern
gelangt ist. Ein
weiteres, wenig beachtetes Schlaglicht auf ihre Beziehung wäre
vielleicht auch der Umstand, in welchem der Habsburger und der
Nachfahre von breisgauischen Statthaltern des Hauses Habsburg in ihren
Ehen ein ähnliches Schicksal erfuhren. Erzherzog Johanns ist hinlänglich
bekannt, jedoch es überrascht vielleicht, dass auch Johann Philipp
keine Adelige heiratete, sondern
Marie Mülhens, Tochter einer bekannten bürgerlichen Geschäftsfamilie
in Frankfurt.
Weit
öfters wird die Beurteilung von
Wessenberg´s umfassender
diplomatischer Tätigkeit (als Gesandter
in Berlin, Frankfurt, München, London, Den Haag, in der
Italienfrage und nicht zuletzt 1814 als 2.Kongressbevollmächtiger in
Wien) von Metternichs
Stil, Gnaden oder Ungnaden eingefärbt. Tatsächlich waren die
zwei wirklichen Spitzen europäischer Diplomatie miteinander verwandt
(der gräfliche Name Kageneck steht mütterlicherseits und urgroßmütterlicherseits
im Stammbaum ihrer beiden
Familien) und trotzdem hatten ihre Persönlichkeitsprofile ganz
verschiedene Ecken und Kanten.
Und
so ist gewiss, "das allgemeine Geschichtsbild kritisch zu überprüfen.."
wie E. Jäckel in seiner
Arbeit über "Jahrestage 1998" in der Beilage zur
Wochenzeitung "Das Parlament"
(B3-4/98) richtig feststellt. Es scheint nur wenige Persönlichkeiten
im Jahre 1848 gegeben zu haben, die, wie M. Funke (selbe Beil.) sagt,
"die Wohlfahrt der Nation zum Fokus ihrer parlamentarischen
Arbeit gemacht haben, stattdessen verstärkt sich der Eindruck von
polygonalem Aktivismus."
Sicherlich
stand Johann Philipp nicht den "Märzrevolutionären" nahe,
welche vor allem ein Ideen-Reich vertraten, aber er hatte auch schon
zu dieser Zeit längst begriffen, dass sich Geschichte nicht als eine
Abfolge von Taten, sondern ebenso als Geflecht von Ideen darstellen
muss. Nichtsdestotrotz mussten Veränderungen her; wörtlich sagte er:
"Die alten Bande zwischen Bauern und Grundherr können nimmermehr
in der früheren Form angeknüpft werden. Der Bauer muss entlastet,
reiner Eigentümer werden; die Zeit der Robot und anderer
feudalistischen Lehen hat ihr Ende erreicht." Johann Philipp
sprach in seinen Briefen an Erzh. Johann Ansichten aus, von denen man
nur lebhaft bedauern kann, dass es zu jener Zeit niemanden in Österreich
gab, der sie im Schoß der Regierung zur Geltung zu bringen vermochte.
Als das Wiener Regierungssystem stürzte, war es beiden völlig klar,
wie unhaltbar und wenig nutzbringend dasselbe gewesen ist, allerdings
erhebt Wessenberg Klage gegen das unwürdige Schicksal des schimpflich
davongejagten Fürsten Metternich. Sein Urteil ist nicht auf das Volk
ausgerichtet, das noch "Neuling im Aufruhr"(zit. Freiburg,
24.März 19848) ist,
sondern vor allem auf Metternichs Umgebung, die Monarchen und
Minister.
In
der Natur Johann Philipps lag jedoch nicht die Klage, sondern das ins
Auge zu fassen, was nun getan werden sollte. Und dazu drängte er.
"Die tüchtigsten Männer wären die, welche in die Bedürfnisse
der Staatsverwaltung sowie der Bevölkerung am tiefsten eingeweiht
seien. In den Salons konnte man diese nicht finden, die Atmosphäre
der Boudoirs war für die Geschäfte immer verderblich. Jedoch an
Talenten wird es nicht fehlen, sie werden jetzt zahlreich auftauchen,
da sie nicht mehr zum Schweigen verdammt sind."
Johann
Philipp hatte es nach Ablehnung des Postens eines Bundespräsidialgesandten
in Frankfurt nicht mehr fertig gebracht, sich dem Ruf zum Amte eines
Ministers der auswärtigen Angelegenheiten zu verwehren. Er wusste,
dass er sich in eine "mörderische Schlacht begebe, ohne zu
wissen, wie er dereinst aus ihr hervorgehen werde."
Johann
Philipp erreichte Mitte Mai 48 Wien, welches vom Kaiser Ferdinand mit
Hof und Familie verlassen worden war. Die vereinsamte Kaiserstadt aber
war der Schauplatz unaufhörlicher Volksbewegungen, "die
schrecklichsten, die ich jemals erlebte", schrieb er am 27.Mai an
Erzh. Johann. Der Brief schließt mit den Worten: "Wenn die
Studenten es erlauben, die Stadt mit einem Wagen zu verlassen, so
reise ich nach Innsbruck ab." Als er mit Mühen und in einer
elendiglichen Gesundheitsverfassung dort ankam, bat er sofort den
Kaiser um seine Enthebung als Minister. Leider bekam er noch mehr
aufgeladen, nämlich die Präsidentschaft der Regierung.
Wie
treffend seine Urteile und Einschätzungen in dieser Zeit waren, das
beweist ein kleiner Vergleich. Eine der wenigen politisch denkenden
Frauen in dieser Zeit war die preußische Romanschriftstellerin Fanny
Lewald. In ihren "Erinnerungen an 1848"(Sammlung Insel, Fft.,69)
beschreibt sie Herrn von Schmerling, der an Stelle des vorgesehenen
Johann Philipp auf die Ministerbank der Frankfurter Paulskirche
gesetzt wurde: "Er fällt auf zuerst durch den Ausdruck bürokratischen
Hochmuts, der sein Äußeres und sein Sprechen charakterisiert. Ein
Zug tiefer Menschenverachtung schwebt um die fest geschlossenen
schmalen Lippen.." Johann Philipp schrieb aus Innsbruck am 9.Juni
48 einen Brief an seinen Stellvertreter in der Leitung des
Ministeriums in Wien, Ludwig Freiherr von Lebzeltern, in welchem er
wenig Wohlwollen für Schmerling zum Ausdruck brachte. Johann Phillipp
sah in Schmerling, ähnlich wie Fanny Lewald, einen Menschen des
unbedacht kraftvollen Handelnwollens
und so ermahnte er ihn unter anderem typischerweise in einem
Schreiben mit den Worten: "Um Gotteswillen, vermehren Sie unsere
Verlegenheiten nicht!" ( Wien, 29. Juni 48)
Wie
eng das Verhältnis der beiden Johann war, das zeugt die gemeinsame
Reise des Erzherzogs und des Ministerpräsidenten nach Frankfurt zum
Antritt des Amtes eines Reichsverwesers des Ersteren. Jedoch der
Stellvertreter Johann Phillipps in Wien, schrieb sehr bald nach
Frankfurt folgende Worte: "Wir beschwören Sie, Baron Wessenberg,
bald wieder unter uns zu erscheinen und Ihre Weisheit und Erfahrung in
politischen Dingen wenigstens solange walten zu lassen, bis eine
andere Vorsorge getroffen sein wird. Denn ich habe mich überzeugt,
wie wenig die übrigen Herren Minister mit diplomatischen Verhältnissen
vertraut sind und wie sehr es Noth tut, dass eine kräftigere Stimme
als die meine sie auf den rechten Weg leite." ( Wien, 5. August
48)
Wie
die Revolution nunmehr chronologisch verlief, das ist nicht Gegenstand
dieser Betrachtungen, aber es ist sicherlich nicht richtig, wenn in
bedeutenden historischen Werken der Gegenwart die Person des Johann
Philipp von Wessenberg ausgeklammert wurde (siehe u. a.: M. Scheuch,
Historischer Atlas Österreich, Brandstätter, Wien, 94, Seite 124f.
"Die Revolution in Wien"). Keinesfalls hinzunehmen sind auch
die Äußerungen von Heinrich Drimmel, in seiner Biographie einer
Epoche (Franz Joseph, Amalthea, Wien, 83, Seite 79): "Unter
Wessenberg taumelte die Monarchie in die Katastrophe der Wiener
Oktoberrevolution 48." Ferner schreibt dieser im
Personenverzeichnis desselben Werkes: "Totales Versagen der
Regierung Wessenberg; er flüchtete hinter der kaiserlichen Familie
her nach Olmütz." Tatsächlich war Johann Philipp im Oktober 48
der einzige verantwortlliche Minister und nur Fürst Schwarzenberg,
der damals noch im Hauptquartier Radetzkys in Mailand weilte,
veranlasste ihn (nach den Aufzeichnungen von Joseph A.Graf Hübner)
auf seinem Posten als Ministerpräsident trotz Isoliertheit zu
verweilen. Der Feldmarschall Windischgrätz kümmerte sich in Wien,
mit seinen militärischen Maßregeln, allerdings genauso wenig um die
Reichsversammlung, wie um die Anweisungen aus Olmütz. In dieser
Ohnmachtstellung war es freilich vergeblich auf die unverzügliche
Einsetzung eines "volksthümlichen Ministeriums" zu drängen,
wie es von dem, von Johann Philipp in die Verantwortung des
Finanzministers geholten, Philipp von Krauß am 22. Oktober gefordert
wurde. Über das wahre Drama dieser Ereignisse (insbesondere Johann
Philipps Missbilligung der Hinrichtung des von Frankfurt nach Wien
entsandten Robert Blum )
kann in diesem Rahmen nicht berichtet werden. Johann Philipp
schrieb an Erzh. Johann am 1. Nov.48: "Die Sachen haben sich hier
so gestaltet, dass mein Verbleiben in den Geschäften ein unnützes
Martyrium sein würde. Man hat mich für eine gewisse Zeit als eine
Notwendigkeit betrachtet und wähnt jetzt wieder andere Ideen geltend
machen zu können..."
In
den "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" von Jacob Burckhardt
in einem Kapitel "Über Ursprung und Beschaffenheit der heutigen
Krisis" (Ullstein, Berlin, 1960) steht:
"Der Sozialismus erwies sich 1848 lange nicht so mächtig,
als man geglaubt hatte, denn schon die Pariser Junitage gaben die
Gewalt fast sofort wieder in die Hände der bisherigen
Monarchisch-Konstitutionellen. Auf den Wendepunkt hin, der mit der
Schlacht bei Custozza gegeben war, folgte freilich eine allgemeine
Reaktion, im Ganzen mit Herstellung der Formen und Grenzen, wie sie
vorher gewesen waren. Sie siegte im Oktober und November 48 zu Wien
und Berlin und 1849 mit Hilfe der Russen in Ungarn."
Johann
Philipps besondere Lebensleistung wurde auf den verschiedensten Ebenen
hervorgehoben, konnte aber in der Macht dieser Zeit keine Erfüllung
finden. So schrieb Feldmarschall
Radetzky: "Gelänge es meinem Schwerte, den Weg dazu zu bahnen,
dann wird es Ihrer tiefen Staatseinsicht, dem Adel und der
Freisinnigkeit Ihrer Ansichten und Ihrer Denkungsart gelingen, Österreich
wieder auf die Stufe seiner alten Macht und seines früheren Ansehens
zu erheben." Diesen stolzen Worten eines Briefes vom 12. Juni aus
Verona muss relativierend der Standpunkt eines englischen Außenministers,
nämlich Lord Palmerston gegenübergestellt werden, welcher am 20.
Juni 48 diese Worte mitteilte: "So sind Sie dann endlich auf
jenem Posten, auf dem Sie schon seit langer Zeit sein sollten und von
dem aus, wenn Sie auf demselben gewesen wären, Sie Ihrem Vaterlande
und Europa viel Unglück erspart hätten."
Niemand
denkt heute zuerst an ein Wort des Neffen von Erzherzog Johann, Franz
Joseph, der als 18jähriger Kaiser der Donaumonarchie nach dem
gewaltsamen Ende eines möglichen liberalen Aufschwunges (auch
besonders durch Johann Philipp von Wessenbergs Verdienste), den Namen
"Reichsvermoderer" erfunden haben soll, sondern man denkt an
den seiner Zeit vorausgeeilten sympathischen Menschen, der an dem
Machtstreben gescheitert ist.
Ein
gewisser Gottfried Heindl schrieb in einem Büchlein mit dem Titel
"Und die Größe ist gefährlich, oder wahrhaftige Geschichten
zur Geschichte eines schwierigen Volkes" (Neff, Wien, 69, ) im 4.
Kapitel über die Gründerjahre 1848 - : "Resignation und
Zynismus reichten damals bis in die höchsten Kreise. Kurz vor seinem
Tode im Jahre 1858 wurde der ehemalige Außenminister Johann Philipp
Freiherr von Wessenberg, der seit 1797 im österreichischen
Staatsdienst gestanden war, gefragt, ob er seine Lebenserinnerungen
schreiben werde. "Ich denke nicht daran", antwortete
Wessenberg, "ich habe mein Vaterland viel zu lieb, als dass ich
seine Geschichte schreiben würde." So nett dieses angebliche
Zitat vielleicht klingen mag, es ist falsch. Wenige andere Diplomaten
im Stile von Johann Philipp hatten mehr Fleiß und Mühe aufgewendet,
um alles rund um die Entwicklung und den Fortgang der Geschichte Österreichs,
des Hauses Habsburg und der verschiedensten europäischen Verhältnisse
und Persönlichkeiten aufzuschreiben und zu analysieren. Leider fehlen
die Publizierungen dieses umfassenden Oeuvres. Im Jahre 1809 tauchte
beispielsweise in diesem Mann ein ganz eigentümlicher Plan auf, den
er dem Kaiser zur Entscheidung vorlegte: "Da ich stets mehr
Geschmack an ununterbrochener Arbeit, als an irgendwelcher Ostentation
nach Außen hin gefunden habe, so bin ich auf den Gedanken geraten, es
würde ungemein nützlich sein, eine Sammlung alles dessen zu
veranstalten, was seit Beginn der französischen Revolution zu den
Reformen in der Verwaltung aller europäischen Staaten beigetragen
habe. Nicht bloß zum Studium der Zeitgeschichte könnte dieses
gesammelte Material dienen, sondern eine gerechte Würdigung der
Krankheit des Zeitalters, des politischen Reformationsgeistes herbeiführen.
Denn kein Staat mehr, und auch der nicht, welcher sich seit
Jahrhunderten bei seiner Verfassung glücklich gefühlt habe, könne
sich gewissen Reformen länger entziehen."
Niemand
reagierte damals auf diese Initiative Johann Philipps, auch nicht im
Jahre 1848, vielleicht wäre es endlich an der Zeit, diese ernstlich
aufzugreifen, um einem Europa auf "tönernen Füßen" (eine
Bezeichnung für die exekutive Ordnung der Paulskirche in Frankfurt)
entgegenzuwirken.
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