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Ignaz
Heinrich von Wessenberg: Kirchenreformer vor 200 Jahren Der erste
Kirchen-Volksbegehrer
von
Peter Heinrich Wessenberg, 2001
„Wer seine Werke
liest, glaubt einem Progressisten des Jahres 1969 zu begegnen:
Demokratische Diözesansynoden werden gefordert, die Aufhebung des Zölibats
wird verlangt...“
Kein
Geringerer als Joseph Ratzinger formulierte dies über Ignaz Heinrich
von Wessenberg (1774-1860) Im letzten Kapitel
seines 1970 erschienen Buches „Glaube und Zukunft“ referiert
Joseph Ratzinger, heute Kardinal und Präfekt der vatikanischen
Glaubenskongregation, über die Kirche im Jahre 2000: „Wie wird sie
aussehen?“. Wir wissen es, nachdem die symbolträchtige Jahreszahl
bereits hinter uns liegt. Es ist sicher kein „Wessenbergianismus“
in Rom zu spüren, und es haben sich die vom Kirchenreformer
Wessenberg erlebten Umstände – Verwerfung der Bischofsernennung,
Zurücknahme der Dialogbereitschaft mit anderen christlichen Kirchen -
wiederholt.
Mit
einem Kuriosum kann man die Geschichte kurz erhellen. Vor drei Jahren
betitelte die Zürcher Freitag-Zeitung einen Beitrag über die
Versetzung des umstrittenen Bischofs von Chur, Wolfgang Haas, zum
Oberhirten der gleichzeitig errichteten Erzdiözese Vaduz mit: „Haas
nach Vaduz, Wessenberg nach Zürich“. Und sie schreibt: „Nachdem
nun plötzlich das Unmögliche möglich geworden und extra für Msgr.
Haas ein kleines Erzbistum geschaffen worden ist, stellt sich die
Frage, weshalb nicht ein Bistum Zürich für Ignaz Heinrich von
Wessenberg eingerichtet werden kann. Die Antwort liegt näher als
erwartet. Denn auch die römische Kurie kann keine Toten zum Leben
erwecken. Und selbst wenn sie es könnte, den Erzfeind Nummer 1 nördlich
der Alpen des beginnenden XIX. Jahrhunderts, den Generalvikar,
Weihbischof, Koadjutor und de facto letzten Bischof von Konstanz, den
Erneuerer der deutschsprachigen Kirche, der manche Beschlüsse des II.
Vaticanums vorweg genommen hatte, riefe sie wohl zuletzt von seiner
letzten Ruhestätte zurück zum Dienst.“ Enge Verknüpfung mit den Habsburgern
Nun,
was dieser Konstanzer Wessenberg heute ist, das kam zur Sprache; was
war er in seiner Zeit wirklich? Ein bekannter Schweizer
Erwachsenenbildner schrieb mir vor kurzem in einem Brief:.“.....dass
alle die Habsburger nicht einen Einzigen hervorzubringen vermochten,
welcher der geistigen Dimension jenes großen Ignaz
von Wessenberg gleichkäme, den die Konstanzer und eine weitere
aufgeschlossene Welt heute noch verehren.“ Jetzt sind wir wieder in
die Gegenwart gerutscht oder doch nicht. Denn die Geschichte der
Familie Wessenberg ist mit den Habsburgern im Vorderösterreichischen
sehr eng verknüpft. Und im Aargau stand die Burg der Wessenberg schon
vor 1000 Jahren, und dann kam die nur 10 km entfernte
„Habichtsburg“, nach der sich die Familie Habsburg ableitet.
Ob
im Sundgau, Aargau oder Breisgau, die Wessenberger standen mit ihren
Gerichtsbarkeiten, mit ihren Lehen und mit ihren Schwertern ständig
an der Seite der Habsburger. Erzherzog Ferdinand Karl (1628-1662)
„bestellte eines der bedeutendesten Mitglieder des Ritterstandes für
die vorderösterreichische Statthalterschaft, die adelige
Regierungsratstelle, den Humprecht von Wessenberg“, so der
Historiker L. Deimling in seiner Dissertation 1927. Alle – nicht nur die Christen - beten an
Der
historische Rückblick auf die Familie soll mit dem Hinweis auf den
Bruder von Ignaz Heinrich, dem am längsten dienenden Diplomaten des
österreichischen Herrscherhauses, Johann Philipp Reichsfreiherr von
Wessenberg zu Ampringen ( 1773 – 1858), dem zweiten österreichischen
Bevollmächtigen auf dem Wiener Kongress 1814/15 und Ministerpräsidenten
und Außenminister im Revolutionsjahr
1848 beendet werden.
„Gleichsam als gemäßigte Progressisten könnte
man die Figur des Konstanzer Generalvikars Wessenberg ansiedeln, der
eine simple Reduktion von Glaube auf Sozialarbeit keineswegs
mitgemacht hätte.“ Das ist wieder die Meinung von Joseph Ratzinger.
Wir haben uns auf eine Unmenge von Schrifttum über diese Person
gefasst zu machen, wenn wir die vielfältigen Tätigkeitsfelder von
Ignaz Heinrich ansehen wollen.
Schon
als Jugendlicher hat er in erstaunlicher Weise seine Stimme zu allen möglichen
Fragen der Gesellschaft und ihrer Probleme erhoben, beziehungsweise in
Druck gegeben. In seinem langen Leben hat sich seine Bibliographie auf
460 Titel ausgeweitet. Darin sind nicht nur Auseinandersetzungen mit
der Religion, der Kirche, der Pädagogik, der Volksbildung, sondern
auch Gedichtbände (seine Gedichte wurden auch von Beethoven vertont)
und dramatische Werke. In seinem Einsatz für reformierendes
Erziehungs- und Bildungswesen verbindet er sich in persönlicher
Bekanntschaft mit so bedeutenden Namen wie Johann Heinrich Pestalozzi
und Heinrich Zschokke.
In
einer neueren Biographie, die ich dankenswerterweise von der Basler
Historikerin Brigitte Degler-Spengler (welche über Wessenberg im
Zusammenhang mit dem Bistum Konstanz am Deutschen Genealogentag in Zürich
referierte) von Helvetia Sacra erhielt, ist von einem Breve Papst Pius
VII. (1800-1823) die Rede, wo er seinen persönlichen Dank für die
Arbeit des außerordentlichen Gesandten bei der 1798 konstituierten
Helvetischen Republik aussprach.
Der
Gesandte war Ignaz Heinrich von Wessenberg, welcher von dem das Bistum
Konstanz übernehmenden Fürstprimas Dalberg, der für die in Trümmern
liegenden katholischen Kirche kämpfte, 1802 zum Generalvikar ernannt
wurde. Die in der Neuordnung der schweizerischen Staatsverfassung zu
berücksichtigenden Interessen des Bistums Konstanz wurden von einem
jungen dynamischen Aufklärer hervorragend vertreten. Umso mehr
verwundert es, wenn man weiß, dass gerade der genannte Papst,
allerdings unter schlechter Beratung, den Schweizer Teil des Bistums
Konstanz 1814 abtrennte und 1821 durch die Bulle „Provida solersque“
das Bistum Konstanz auflöste.
Die
Rettungsversuche des Bistums von verschiedenen Seiten und die
Verteidigungsschritte des betroffenen Ignaz Heinrich in Rom selbst können
hier nicht ausgeführt werden. Wesentlicher erscheint die Erwähnung,
dass der josephinistische Ignaz
Heinrich sich im Verlauf seines Lebens nicht nur als Kunstmäzen (er
vermachte seine Bibliothek mit rund 20.000 Bänden sowie seine
umfangreiche Gemälde-, Kupferstich- und Lithographiesammlung der
Stadt Konstanz), sondern als Wohltäter hervorgetan hat, indem er 1855
in Konstanz eine „Rettungsanstalt für Mädchen“, welche unter dem
Namen „Wessenberg-Sozialzentrum“ bis heute fort besteht, unter
unendlichen Mühen ins Leben gerufen hat.
In
Konstanz wird das Andenken an den Ehrenbürger hoch gehalten. Im Zuge
eines neu errichteten Kulturzentrums im Wohnpalais des Ignaz Heinrich
von Wessenberg, dem ehemaligen Badischen Domhof neben dem Münster
gelegen, welcher als fürstliches Lehen durch Ankauf von seinem Bruder
Johann Philipp in seinem Namen erworben wurde, wird die Aktualität
und Modernität eines Vorläufers eines ungebrochenen 200-jährigen
Reformgeistes stets zu denken sein. So hat man im Zuge der geplanten
Umsiedlung der stark expandierten „Wessenberg-Bibliothek“ aus dem
Wessenberghaus in die Universitätsbibliothek Konstanz eine Vertiefung
der Forschung über diese Person zu ermöglichen, sowie die Präsenz
seiner eigenen Werke vor Ort zu gewährleisten. Sicher ist hier nicht
von einer “Wessenberg-Renaissance“ zu sprechen, da es sich bei
dieser Persönlichkeit um kontinuierliche Entfaltung und permanente
Neusensibilisierung für seine Ideen in Kirche und Gesellschaft
handelt und weiterhin handeln muss. Für Reform, nicht für Kirchenspaltung
Es
wurde schon eingangs erwähnt, wie aktuell dieser Bischof in Zürich
ist und auch anderswo zu sein scheint. Tatsächlich haben die nach
seinem Tode gegründeten, sich allerdings auf eine Gegnerschaft gegen
Pius IX. und sein „Unfehlbarkeitsdogma“(1870) rückbeziehenden
kirchlichen Vereinigungen, wie die altkatholische (in der Schweiz:
christkatholische) Kirche, einen stark Hang zu einem gewissen „Wessenbergianismus“.
Auf allen Homepages im Internet wird die Gestalt des sogenannten
„Romgegners“ als Vorbild für die Strukturveränderung in einer
quasi katholischen Reform hervorgehoben.
Sicherlich
vieles zu Recht, aber manches mit zu großem Eifer, da sich Wessenberg
zwar für weitreichende Veränderungen, auch im Sinne des österreichischen
Kirchevolksbegehrens, ausgesprochen hat, jedoch nie eine
Kirchenspaltung propagiert hatte. Schlecht anstehen würde es
allerdings dem einen oder andren österreichischen Bischof nicht, wenn
er sich von der Zivilcourage und dem Engagement des Altösterreichers
eine Scheibe abschneiden würde. Das Bistum Konstanz war das ursprünglich
größte deutsche Bistum, und es reichte auch in unser heutiges
geographisches Österreich. Dass mir im Jahre 1998 nach dem Erscheinen eines Artikels in der FURCHE über Johann Philipp von Wessenberg Zuschriften gemachten worden sind, in welchen auf die Person seines Bruders Ignaz Heinrich und sein nach wie vor aktuelles „Glaubensbekenntnis“ hingewiesen wurde, das überraschte mich doch nicht wenig.
Eine
Strophe aus diesem geistigen Erbe soll daher am Schluss stehen:
„Drum glaub ich nicht, dass vor dem Gott der Welten, des Buddhas und
des Akkorans, Bekenner weniger als Christen gelten, verschieden zwar,
doch alle beten an.“
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