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Andere
Einblicke in die Schweiz und die politische aus der Sicht der Gebrüder Wessenberg, wichtige Zeitzeugen und auch Gestalter zu Beginn bis gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. „...nach dem Diner spreche ich in Gegenwart Wessenbergs zu Metternich in dem energischsten Ton....“ (Friedrich Gentz) (Gentz’schen Unmut gilt der Liebesaffäre Metternichs mit der Herzogin von Sagan, die politisch vielfach störten. Eine später kolportierte Geschichte besagt, Metternich habe deswegen wichtige Sitzungen versäumt, durch die Österreich beträchtliche Gebietsteile verlor.[1]) Unsere Hauptzeugen der Geschichte sind wieder die Brüder Wessenberg. Ignaz Heinrich schrieb 1801 anonym sein Werk „Der Geist des Zeitalters“. Dies war, ehe er zum geistigen Regierungspräsidenten des Bistums Konstanz (Generalvikariat) ernannt wurde. Er durchleuchtete darin die so genannte liberale Sicht auf Religion und Kirche und griff die Mächte an, die den Staat für ihre Privatzwecke benutzten. Der Untertitel des Buches lautet: „Denkmal für das achtzehnte Jahrhundert, zum Besten des neunzehnten, von einem Freunde der Wahrheit“. Veröffentlicht wurde es bei Orell Füssli in Zürich. Wir sind in der Schweiz und die Schweizer sollten wissen, was zur gleichen Zeit der Bruder von Ignaz, Johann Philipp von Wessenberg vor über 200 Jahren über das Land zu Papier gebracht hat.Die Zeilen sind aus dem Französischen übersetzt und stammen aus dem Jahre 1801 von einem Brief aus Berlin an seinen Bruder Ignaz Heinrich. Ich lese vor: „Während die Schweiz im Schoße ihrer Berge mit den Annehmlichkeiten des Friedens liebäugelte, die Industrie und die Schönheiten der Orte die Bewohner beglückten, erweckte dies die Illusion, die einem veranlasst, die Schweiz als klassisches Land des Glücks zu bezeichnen und die Bildung eines Schweizerischen Bundes zu vergöttern, fast so wie die schönen Bilder von den griechischen Republiken, von denen man die Theorien bewunderte, ohne die Resultate zu prüfen. Was war nun dieser „Helvetische Bund“? Es bedurfte mehr als 2 Jahrhunderte um den Knoten zwischen den kleinen Völkern enger zu knüpfen, die deswegen nicht weniger auf ihren jeweiligen Prinzipien verharrten und sich nicht weniger in ihren politischen und religiösen Meinungen unterschieden. Wenige Wochen haben genügt, um diesen Knoten zu lockern und um diese Föderation zu zersetzen. Man kann sagen, die Schweiz hatte keine Verfassung – sie wurde von allen möglichen politischen Leidenschaften beherrscht und wenn sie hie und da in Interessen einig war, in Bezug auf ihr Vermögen war sie es nie. Man hat hier die schärfsten Kontraste von Despotismus und Freiheit gesehen, von Gesetzeshütern, Tyrannen der rechtschaffenen Leute, die ihre Sklaven waren und von hochmütigen Aristokraten, zum Richteramt erhoben von Geburt, Erpresser von den Bewohnern der fruchtbaren Täler. Man hat hier souveräne Volksstämme gesehen, wo die Bewohner der Städte mit allen Rechten spielten, wovon die Landbewohner ausgeschlossen waren, andere, wo die Freiheit nicht existierte, wenn sie nicht auf Armut reduziert wurde. Wenige Kantone hatten Gesetze, die die am besten verwaltet waren, hatten oft als Grundsatz , dass der gesunde Menschenverstand noch am besten diktiert. Aber das Volk, das sich so für Freiheit begeisterte, hatte nichts für Gerechtigkeit übrig und die, die sich am freiesten fühlten, waren gleichzeitig die halsstarrigsten und die am leichtesten zu verführenden, die religiösesten und die intolerantesten Menschen. Eine solche Unvereinbarkeit von Prinzipien, von Meinungen und einer Regierung konnte weder eine solide Basis noch eine Garantie für allgemeine Zufriedenheit schaffen und auch die, welche glücklich waren, waren es nicht wegen ihrer Armut, ihrer Unwissenheit und wegen der Einfachheit ihres Lebenswandels oder einer Mäßigung der Sitten. Das vergangene Jahrhundert verschließt alle pastoralen Tugenden, die Gegenwart sieht nichts als Opfer von Korruption und Unglück, auf die man unglücklicherweise den Prachtbau der neuen Verfassung gründen muss. Wenn die Korruption eines Volkes ein Maß für seine Dekadenz ist, dann ist das Ausblenden seiner Fehler bereits ein Schritt zu seinem Untergang. Auf diese Weise geht die Schweiz, sowie einst Athen unter, denn ihre Fehler erscheinen ihr so gering, dass sie nicht dagegen ankämpfen will.“2 Das meinte damals Johann Philipp von Wessenberg. Napoleon gab als sog. Mediator (Vermittler) am 30.September 1802 eine Garantie für einen vollendeten Geschmack von Freiheit und Gleichheit. Die alte Eidgenossenschaft war ein System von dreizehn Kantonen mit sehr unterschiedlichem Status, die gemeine Herrschaften und Untertanengebiete besaßen und zwischen denen wechselnde komplizierte Allianzen bestanden. Die Pariser Mediationsakte vom Feber 1803 umfasste eine neue Verfassung für die Eidgenossenschaft und für jeden Kanton und garantierte, dass es in der Schweiz fortan weder Untertanenverhältnisse noch Vorrechte auf Grund von Rang und Familie gab. Die neuen Kantone waren die Baumeister des Bundesstaates, für sie war die Mediation von 1803 nicht eine kleine Restauration (als Vorläuferin der großen Restauration von 1815) sondern viel eher eine kleine Helvetik. Insbesondere für der Thurgau. Er verdankte der Helvetik seine Existenz und der Mediation seine Unabhängigkeit. Die neuen sechs Mediationskantone, die früheren Untertanengebiete St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt – die eigentlichen Napoleonkantone - haben praktisch identische Verfassungen und erhielten Landammänner eingesetzt. Für St. Gallen war dies Karl Müller von Friedberg, der als Verfassungsgeber der Helvetischen Republik gilt. Er hat als langjähriger Landammann und Gründer des Kantons St. Gallen, als Außenminister der Helvetik und zuletzt Landvogt im Toggenburg die „Geschichte seiner Zeit“ unter dem Titel „Annalen der Schweiz“ geschrieben. Die insgesamt 19 Kantone erhielten alle ihre eigenen Kantonsverfassungen. Zu den drei alten Vororten Zürich, Bern, Luzern traten drei neue hinzu, nämlich Freiburg, Solothurn und Basel. Für Außenstehende muss man dazu sagen, dass in der schweizerischen Terminologie „Ort“ ein selbständiger Kleinstaat innerhalb der Eidgenossenschaft bedeutete; zusätzlich waren es die regierenden Orte und ihre Herrschaftsgebiete (durchaus territorial mehrere Kantone im heutigen Sinn umfassend) oder auch Städteorte mit zugehörigem Territorium. Vororte sind also nicht zwangsläufig Kantonshauptorte. Ich habe mit einer Reihe von Schweizer Persönlichkeiten der Consulta von Paris, aber auch aus den 1802 verfügten Kantonen, mit Historikern, ja mit Weisen aus Erziehung und Wissenschaft, sowie mit Politikern, Archivaren und Publizisten von heute beim letzten Vortrag im Mai dieses Jahres hier begonnen. Nun möchte ich mit dem Vorstellen von Schweizern, die sich an vorderster Front der Einigung der Schweiz befanden und sehr starke und enge Verknüpfung mit Frankreich mit Paris aufzeigen, fortsetzen. Wir haben eine kulturelle Prägung festzustellen, eine die besonders von Frankreich her bestimmt ist. Dies lässt sich während des ganzen 19. Jahrhunderts beobachten und sie reicht quer über die Schweizer Kantone bis in den Bodenseeraum hinein. Österreichische Namen und Personen oder solche mit Österreich in Verbindung stehende prägen zwar ebenfalls, sind dagegen aber fast durchwegs abgewertet. Eine Bewegung des Geistes ist wesentlich deutlicher von französischer Seite her zu spüren als etwa aus der Wiener Ebene. Ich möchte diesem französischen Einfluss nachgehen. Der von Freiburg her nominierte Louis Auguste Philippe d´Affry (1743-1810) eröffnete den Reigen der eingesetzten Landammänner der Schweiz. Er wurde 1803 in dieses Amt gewählt. Damals war schon in seinem sechzigsten Lebensjahr stehend, ehemaliger Offizier und ein Aristokrat, welcher schon der französischen Krone gedient hatte. Sein Vater war einer der bedeutendsten Diplomaten gewesen, den die Schweiz zu Ende des 18. Jahrhunderts hatte. Frankreich schildert Affry als „ sehr gemäßigt mit enormen Talenten und einem großen Ruf“. Eine zweite Person mit starker Affinität zu Frankreich ist der in der Helvetik als Kulturminister tätig gewesene, dann zum Botschafter bei 1. Konsul in Paris berufene Philippe-Albert Stapfer. Er war bei der Pariser Consulta 1802/03 als Delegierter für die neuen Kantone Aargau und Thurgau eingesetzt. Bonaparte ernannte Stapfer zum Präsidenten der Liquidationskommission, welche die Aktiven und Passiven des Einheitsstaates verrechnen sollte. Ihr Sitz war Freiburg, wo d´Affry als erster Landammann der Mediationszeit amtete. Stapfer, verheiratet mit einer Pariserin zog es gleich wieder nach der französischen Hauptstadt zurück, wo er den Rest seines Lebens auf dem nahe Versailles gelegenen Landsitz verbrachte. Die Freunde und Bekannten waren de Stael, Benjamin Constant, Thiers. Der spätere Minister und Historiker Guizot war in Stapfers Haus mehrere Jahre als Erzieher seiner Söhne tätig. Auch der Konstanzer Bistumsverweser Ignaz Heinrich von Wessenberg besaß wie diese Schweizer Politiker den Sinn für französische Denkart und bewies dies, indem er 1805 den Häuptern der Regierung des Kantons Luzern Montesquieus „esprit des lois“ = Den Geist der Gesetze“ empfahl.3 Zur Erinnerung: Charles-Louis de Secondat, Baron de Montesquieu (1689-1755) forderte zum Schutz gegen Willkürherrschaft die Gewaltenteilung. Eine grandiose Maxime Montesquieu´s, ja ein Leitstern in seinen „Cahier´s“ lautet: „Wenn ich etwas wüsste, das meiner Familie und nicht meinem Vaterlande dienlich wäre, so würde ich suchen, es zu vergessen. Wenn ich etwas wüsste, das meinem Vaterlande dienlich und das Europa abträglich wäre, oder das Europa dienlich und dem Menschengeschlechte abträglich wäre, so würde ich es als ein Verbrechen betrachten.“ Doch bei aller Bedeutung seines Werkes, insbesondere dem „Der Geist der Gesetze“, wir sollten uns hüten, ihn als Vorläufer des Liberalismus im 19.Jahrhundert zu sehen. Er hat beispielsweise zweifellos nicht den Weg zur Emanzipation der Frauen und Kinder asphaltieren wollen und er wollte keinen Klassenstaat, sicher er wehrte einen einseitigen Herren-Standpunkt ab. Bezüglich der Frauen betont er die natürliche Andersartigkeit und warnt vor ihrem korrumpierenden Einfluss auf die Politik.4 Und glaubten das nicht vielleicht auch noch die Schweizer lange lange Zeit bis ins späte 20. Jahrhundert hinein? Den Wessenbergbrüdern nahe stehend ist ein weiterer interessanter Schweizer, Joseph Anderwerth (1767-1841). Dieser thurgauische Politiker zeigt die Verhältnisse der Zeit sehr eindrucksvoll, wenn man seine Biographie anschaut. Das Auseinanderklaffen von nationalen Determinanten im regionalen Zirkel: Hegau, Bodensee, Thurgau, Freiburg i. Br., Vorderösterreich, Schweiz, Frankreich, französisch, deutsch. Von Elternseite hat er die Herrschaftsstruktur kennen gelernt. Sein Vater war Gerichtsherrensekretär und Amtmann des Klosters Münsterlingen. Er selbst studierte Rechte in Freiburg im Breisgau und die französische Sprache in Besancon. Sein Praktikum machte er beim österreichischen Obervogteiamte Waldshut. Die Stellung eines österreichischen Obervogts im Hegau schlägt er aus, wird Nachfolger seines verstorbenen Vaters. Mit seiner liberal-konservativen Gesinnung berät er das thurgauische Landeskomitee und wird dann als Föderalist einflussreiches Mitglied helvetischer Räte (Großer Rat, Gesetzgebender Rat, Tagsatzung, Senat), 1802 stand er als Präsident der kantonalen Interimsregierung vor, folgend Regierungsgeschäfte und auch Präsident des Verfassungsrats. Er soll mit Abstand der bedeutendste Regierungsrat des jungen Kantons gewesen sein. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass er um die Erhaltung des Bistums Konstanz kämpfte, ja Konstanz sogar als kantonalen Hauptort vorschlug, was sichtbarer Weise nicht geschah. Er war ein Freund von Lassberg, dem Obervogt Hundbiss von der Reichenau und von Ignaz Heinrich von Wessenberg. Dessen Bruder Johann Philipp meinte 10 Jahre vor dem Tode Anderwerths im Jahre 1831, dass der versierte Diplomat, der Thurgauische Solon, für die Mediation der Schweiz nicht der richtige Mann sei. Ähnlich wie seiner Zeit die Helvetik endete auch die Mediation in einem Wirbel von Ereignissen, dessen Ablauf und erst recht dessen Hintergründe noch heute nicht in allen Teilen geklärt sind. Die Vorgänge überstürzten sich vor allem, seit Napoleon in Russland zurück weichen musste und der Krieg sich nach der Völkerschlacht bei Leipzig im Herbst 1813 allmählich der Schweizer Grenze näherte. Johann Philipp bemühte sich immer wieder vergeblich an die Seite von vernünftigen Schweizer Politikern wie etwa den Berner Niklas Friedrich v. Mülinen, den ich bereits im letzten Vortrag vorgestellt habe, zu gelangen. In der Schweiz selber agitierten Diplomaten verschiedenster Währung und verwirrten die Geister ebenso wie den Gang der Ereignisse. Für Österreich sprachen gleich 3 Vertreter: Der Freund Johann Philipps, Franz Alban von Schraut hielt sich eher im Hintergrund, der außerordentliche Gesandte Ludwig von Lebzeltern wirkte vornehmlich auf den Schweizer Landammann Hans von Reinhard[2] (1755-1835) und schließlich gab sich Ludwig Graf von Senfft-Pilsach als Emissär Wiens aus, obwohl ihm die offizielle Legitimation dafür fehlte[3]. Ich möchte nun kurz einen tieferen Blick auf die Beziehungen der Schweiz und Österreich in dieser Zeit werfen. „Das Buch der Mysterien“ von Otto Henne-Am Rhyn ist 1869 in St. Gallen im Verlag von Altwegg-Weber zur Treuburg erschienen. Dieses Buch interessiert in diesem Zusammenhang. Wir finden darin Bemerkungen über den „grundsatzlosen Despoten Metternich“ und über seinen Adlatus diplomatus Friedrich Gentz (1764-1832), der als „liederliches Subjekt“ angeführt ist. Eine deutliche Sprache, die sicherlich gegen eine österreichische Position der Politik und Diplomatie aufgefasst werden kann. Neben allen historisch bedeutsamen Werken des Autors Henne Am Rhyn, wie seine Geschichte des Rittertums ist die Verteidigung der wahren Freimaurerei (aus dem Jahre 1866) ein wichtiger Hinweis. Übrigens waren die Mitglieder dieser Familie (mit einem beachtlichen Sitz in Luzern) seit Generationen in hohen Ämtern, u.a. Josef Franz Am Rhyn als zweiter Kanzler der Eidgenossenschaft(1830-1847). Die nicht so geliebten Österreicher, die ja interessanterweise der Wiener Szenerie angehörten, aber selbst nicht von dort stammten, machten der Schweiz einige Schwierigkeiten. Metternich zeigte sich ein halbes Jahrhundert lang als ein Meister von Lüftung aller Geheimnisse. Der so genannte liederliche Gentz äußerte gelegentlich selber eine gehörige Portion Wut über die Bespitzelung und die Zensur seiner Briefe und Sendungen aus Paris durch die österreichische Polizei auf Veranlassung Metternichs. In Gentz, der von Johann Philipp von Wessenberg aus Berlin nach Wien geholt wurde, verkörperte sich allerdings die Reaktion gegen die innere Zersetzung der herrschenden Klassen, also alles, was „französisches Beispiel“ (seit der Revolution) genannt werden konnte. Es sollte sich nach Gentz besonders in deutschen Landen nicht das französische Beispiel der allmählichen inneren Zersetzung und das wehrlose Zurückweichen vor den in ein Bündnis mit den rohen Instinkten tretenden revolutionären Lehren wiederholen. Da aber dieses französische Beispiel, durch Napoleon vermittelt, in der Schweiz gegriffen hatte, war man gegen die Einflüsse des Metternich’schen Systems, dem sich Gentz in seinem persönlichen Kampf gegen politische Spekulation unterworfen hatte. Der für die Geschichte trotzdem sehr wichtige Zeuge Gentz sagte: „Denn es bleibt eine ewige Wahrheit, dass nicht das Übergewicht der Menge, nicht die rohe Gewalt der Massen, sondern das Übergewicht des Geistes und die organisierte Gewalt die Welt regieren.“ Gentz war ein Schüler Kants (1724-1804) und seine publizistische Arbeit beschäftigte sich mit dem irisch-englischen Staatsmann und Schriftsteller Burke (1729-1797). Beide, Kant und Burke, beeinflussten die Sichtweise von Gentz auf die Dinge und Ereignisse. Seitdem ich Gentz´s Briefe an Johann Philipp, meinen 4fachen Urgroßvater gelesen habe, da verstehe ich manches Wort aus Edmund Burke´s „Betrachtungen über die französische Revolution“ besser. Vielleicht Einbildung! Aber sicher „Bildung“! Burke hat uns die Wege zum Verständnis unserer heutigen Zivilisation eröffnet. Er hat die revolutionärste Schrift gegen die Revolution verfasst! Johann Philipp zog es hin und her und wohl immer mehr hinauf – in die Höhen der Diplomatie und der Politik. Seine diplomatischen Tätigkeiten für den Wiener Hof führten ihn nach Berlin, Paris, Frankfurt, Kassel, München, England und nach Italien. Als Vizepräsident der Central-Organisierungs Hofkommission für die illyrischen und italienischen Provinzen machte er sich nützlich. Doch kaum war Napoleons neues Föderativsystem vernichtet, so geriet auch das Gebäude der Koalitionen ins Wanken. Kaum war Frankreich nicht mehr der erdrückende Universalstaat, da biss man sich auf die Lippen, wenn man daran dachte, dass der Erzkanzler, Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg, Ignaz Heinrichs Chef, die Abdankung Kaiser Franz II zugunsten Napoleons vorschlug. Napoleons Traum hatte eine Menge Materialisationen hinterlassen; teils Gebilde, die kaum noch zu zerstören waren, teils Trümmer am Wege. Eine unerhörte Arbeit des Aufräumens stand bevor, zu deren Zweck ein Monster Kongress der europäischen Diplomatie anberaumt wurde. Die Allierten wählten Wien zu seinem Schauplatz und der „Ritter Europas“, wie Zar Alexander Friedrich Gentz nannte, wurde Protokollführer Wessenbergs. Aus dem Wissen, wie sehr die Schweiz gerade dem russischen Zaren für seine wiederholten Interventionen zugunsten der Integrität dieses Landes dankbar sein will, muss der Ausdruck, das Prädikat, „Ritter“ wohl in eine Unterscheidung von damals und heute gebracht werden. Ein „braveheart“ wie unser heutiges Ritterbild aus den filmischen Heldenepen gezeichnet wird, war Gentz sicher nicht. Welches Urteil mag ein Mensch wie Gentz nach 2 Jahrhunderten erfahren? War er liederlich? Wahrscheinlich schon aus damaliger Sicht, in unserem heutigen Verständnis freilich eher nicht und somit sind wir wieder beim „Geist des Zeitalters.“ Ob wir allerdings ein Denkmal für das 19. und 20. Jahrhundert zum Besten des 21. errichten können, mag sehr zweifelhaft sein. Wir sind beim Wiener Kongress, der seine Schwierigkeiten aus der Maßlosigkeit eines einzigen Mannes, von Napoleon I, erfahren hat und so und nicht anders sich eigentlich legitimierte. So viel Ordnung der Usurpator auch für die Schweiz geschaffen haben mag, so kompliziert gestaltete sich die Wiederherstellung oder die Neuordnung Europas. Natürlich sollen auch die Ungereimtheiten aus der eigenen diplomatischen Küche Wiens nicht unerwähnt bleiben. Zuerst schickte der österreichische Hof eine Erzherzogin nach Paris um des Ausgleichs oder einer Befriedung wegen und dann stand sie plötzlich in Wien, zurückgekehrt aus dem Zentrum einer unbeherrschten Macht, fast wie aus einem Vulkan geschleudert, auf den Treppen den sehr, sehr breiten Treppen vom Schloss Schönbrunn. Doch 1815 war noch die Zeit der Sammlung, der Wiederinstandsetzung von der Hausmacht einer Habsburgerin. Die ehemalige Kaiserin der Franzosen Marie-Louise (1791-1847), Tochter Kaisers Franz des I. schrieb überglücklich einen Dankesbrief an Baron Johann Philipp von Wessenberg, der ihre Interessen während der schwierigen Verhandlungen vertreten hatte. Ihr wurden gegen den Einspruch von Ludwig XVIII die Herzogtümer Parma und Piacenza zugesprochen. Johann Philipp wird nach seinem Biographen Arneth fast als „Agent der Kaiserin“ dargestellt (Band 1: Über die Organisierungshofkommission, S.205), aber auch sein Bruder Ignaz Heinrich hat Marie-Louise in Konstanz empfangen. Was war damals Wien? Gerade der Diener Frankreichs oder mehrerer Herrscher desselben und daher oft Diplomat in eigener Sache, mal unter Napoleon und dann unter den Bourbonen usf. Fürst Talleyrand, erklärte in Wien dem schweizerischen Finanzexperten D´Ivernois, er möge sich um die Währungsschwierigkeiten dieses Landes mit seinen vielen komplizierten Provinzen kümmern. „Österreich ist der Boulevard Europas“ so sagte er, „jeder muss interessiert sein, dass der Wiener Hof prosperiert.“ Die seit 1798 verlorene Selbständigkeit der Schweiz wurde 1815 im Wiener Kongress wieder erlangt. Die Schweiz wurde von Charles Pictet de Rochemont (1755-1824) vertreten. Pictet hat sich die größten Verdienste um die Schweiz erworben. Das Vorbildliche liegt dabei vor allem in der Art, wie er vorging - ein Intellektueller mit Stil. Er verstand es, seine Gesprächspartner für sich einzunehmen. Dies war besonders deshalb so wichtig, weil er als Vertreter eines Kleinstaates zu keiner einzigen Verhandlung direkt zugelassen war und immer andere Personen gewinnen musste, die seine Vorstellungen und Anliegen vertreten sollten. Mit großer Menschenkenntnis spürte Pictet, wem er vertrauen konnte und wem nicht. Er schätzte die Metternich’sche Unverbindlichkeit in der höflichen Maske richtig ein. Mit Baron Wessenberg aber verband ihn eine solide „working relationship“, da beide ganz ähnliche Ansichten zur Schweiz hatten. Wessenberg konnte als österreichischer Bevollmächtigter Pictets Vorstellungen im Kongress immer wieder einbringen und wurde zusätzlich von Kaiser Alexander von Russland tätigst und umfassend unterstützt. Die Arbeitsweise von Pictet unterschied sich von jenen der anderen Tagsatzungsdelegierten. Diese „irrten uninformiert durch die Wiener Gassen, ohne Ahnung vom Ringen zwischen den Großmächten und leierten sich ihren eigenen Auftrag herunter, beschuldigten sich gegenseitig, wenn sie sich in die Quere kamen“ ( Zitat aus der Neuen Zürcher Zeitung 5.3. 2000, Paul Widmer). Pictet dagegen hatte sich in Wien in gewissen gesellschaftlichen Schichten, bis hin zu dem Kaiserhaus Vertrauen erworben. Er wurde sogar von Erzherzog Karl unter anderem bemüht, ein Manuskript zu prüfen, das der Verleger Freiherr v. Cotta für teures Geld erworben hatte: „Die Memoiren des Fürsten Ligne“. In diesen Aufzeichnungen fürchtete man einige Peinlichkeiten dieses großen Frauenfreundes. Pictet hat sich dieser Aufgabe unterzogen und Einiges aus dem Manuskript gestrichen, so dass Cotta schließlich auf eine Publikation verzichtete. Die Schweiz verdankte Pictet die Unabhängigkeit von Genf, sichere militärische Grenzen auch im Bereich des Aargau, eine lückenlose Verbindung von Genf zur Waadt, ein schweizerisches „droit de regard“ im Hinterland von Genf und außerdem auch noch die Anerkennung der immerwährenden Neutralität und damit die Grundlage zu einer politischen Unabhängigkeit der Schweiz. Die Situation von Persönlichkeiten ist sicherlich kaum verständlich zu machen, wenn man sie nicht im Zusammenhang, im Kreise von Personen anschaut, die eine gleiche Bedeutung in Genealogie und politischer Ausstrahlung besitzen. Alte Geschlechter, die im Vorderösterreichischen als Verwalter und Gestalter wirkten, sie kamen immer wieder zusammen, standen sich gegenüber und trafen sich auch am Wiener Kongress. Es ist eine Befriedigung feststellen zu dürfen, dass sich im weiten Feld der Verwandtschaft der Wessenberg ein Metternich befand, aber auch ein Graf Sickingen[4], österreichischer Kämmerer, ein Nachfahre des legendären so genannten Königs vom Rhein, den man in Wien als einen Agenten des Metternich entlarvte. Ist dies ein Kuriosum, nein, es ist ein Zeichen vom tatsächlichen Zerfall einer Adelskultur. Das Spitzelwesen machte nirgendwo halt und so finden sich Aufzeichnungen des berühmt-berüchtigten Baron Hager, des Polizeichefs von Metternich beim Wiener Kongress, von einem „Höchstdieselben“ angesprochenen über die „Frage des Baron Wessenbergs“. Müßig die eine oder andere Vermutung anstellen zu wollen, wer hier wen und zu welchem Zwecke denunzierte oder aushorchte. Auf jeden Fall könnte mit diesen Andeutungen eines höchst geheimen Schreibens Ignaz Heinrich gemeint sein. Er hatte schließlich seine Verteidigungsschritte der deutschen Kirche gegen Rom mit einem Herkules Consalvi, Kardinal-Staatssekretär auch auf dem Wiener Parkett auszufechten! Es ging ähnlich wie im Wiener Prater zu. Der Prater in Wien ist doch bekannt? Die Schießbuden, das Ringelspiel und die Geisterbahnen….. Eine erschöpfliche Auskunft über solche Geschichten finden Sie in Hilde Spiels „Wiener Kongress“. Wir gehen lieber einen Schritt zu der konkreten Tatsache eines Ordnungswillens und auch einer Ordnungsgewalt des Wiener Kongresses. Es bleibt dann das gute Gefühl der wiederhergestellten Eidgenossenschaft und die Erinnerung an bedeutende Schweizer wie den genannten Genfer Pictet und auch u.a. den wackeren Zürcher Bürgermeister Hans von Reinhard, dessen Vorschläge bei Johann Philipp von Wessenberg offenes Ohr fanden und für die politische Zukunft und Existenz z.B. des Kantons Graubünden durch österreichische Gebietsabtretungen nicht unerheblich waren. Der Untergang der Herrschaft Napoleons führte zur Abwahl der Mediationsakte durch die schweizerische Bundesversammlung. Unter Schirmherrschaft des Wiener Kongresses schlossen im August 1815 22 Kantone einen neuen Bund. Nach 1830 bauten 12 Kantone ihre Verfassungen nach demokratischen Gesichtspunkten aus, die anderen Kantone separierten sich zu einem Sonderbund, der 1847 militärisch niedergeschlagen wurde. Im September 1848 gab es in der Schweiz die neue Verfassung, die das Land zu einem Bundesstaat mit Zentralregierung in Bern machte. Es war ein weiter Weg der Schweiz bis zur Bundesverfassung 1848. Ich erwähne einen Wegbereiter, der auch mit den Gebrüdern Wessenberg in Verbindung stand, nämlich eine weitere Thurgauer Persönlichkeit, die in den Kreis von Sieben Weisen passen würde. Tatsächlich gab es eine „Siebnerkommission der Tagsatzung“ und die Neue Zürcher Zeitung erwähnte in einem Dossier am „Vorabend von 1848“ den ersten Präsidenten des Schweizerischen Bundesgerichts Johann Conrad Kern, dessen Großvater Offizier unter Napoleon I gewesen war. Johann Philipp schrieb über ihn in einem Brief an seinen Bruder Ignaz Heinrich: „Die Söhne Tells können sich nun gütlich tun und ihren Weibern erzählen wie mutig sie waren. Dr. Kern, der als außerordentlicher Gesandter vom Bundesrat nach Paris entsandt wurde, ist offenbar die ausgezeichnete Figur in diesem Drama.“[5] Es handelte sich um den Aufstand der Royalisten im schweizerischen Fürstentum Neuenburg, das 1815 dem Königreich Preußen zugeschlagen worden war. Dr. Kern wurde 1808 in Arenburg in Thurgau geboren, nach einem kurzen Theologiestudium wandte er sich der Juristerei zu. Eine treffliche Beschreibung dieses herausragenden Mannes ist Karl Marx in einem Artikel der Neuen Rheinischen Zeitung gelungen: „Herr Dr. Kern aus Thurgau erhob sich, um die Anträge der Majorität zu unterstützen. Herr Kern ist eine große breitschultrige Schweizergestalt mit einem nicht unangenehmen, ausgeprägten Gesicht und etwas theatralischem Haar, etwa wie sich ein biedrer Schweizer den olympischen Jupiter vorstellen mag, etwas gelehrt angezogen und im Blick, Ton, Gebärde von unerschütterlicher Entschlossenheit. Herr Kern gilt für einen der tüchtigsten und scharfsinnigsten Juristen der Schweiz „mit der ihm eigenen Logik“ ging der Präsident des Bundesgerichts auf die Tessiner Frage ein.“ Politisch trat Dr. Kern einige Male in Erscheinung: 1838, als Frankreich die Auslieferung von Prinz Louis Napoleon verlangte. Dr. Kern ließ diese Forderung abweisen. In einer darauf folgenden Mobilmachung rettete Ignaz Heinrich von Wessenberg die Situation, indem er Napoleon nahe legte, die Schweiz freiwillig zu verlassen. 1848, wo er aktiv an der Vorbereitung der Bundesverfassung mitarbeitete und so als einer der wichtigsten Väter des neuen Bundesstaates anzusehen ist. Es ist ihm eine Balance zwischen alten und neuen Errungenschaften, zwischen erforderlichen Einheit und Föderalismus, zwischen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gelungen. 1857 wählte man ihn in die Vermittlerrolle im Konflikt mit König Wilhelm IV von Neuenburg, er vertrat die Schweiz bei der Konferenz in Paris. Mir hat eine bekannte Aargauer Journalistin gesagt, sie hätte versucht sich ein Bild von der Schweizer Geschichte im 19. Jahrhundert zu machen. Aber es sei ihr nicht gelungen. Immer ginge es vor und zurück. Es ist eine Vielfalt der Veränderungen in unterschiedlichster Form und Weise, von alten Strukturen der Verwaltung und von eingeführten und abgeschafften, von Zugehörigkeiten in territorialer und in konfessioneller Hinsicht. Alles hat eine arythmische Bewegung. Es geht vorwärts, dann Stillstand, dann retour. Trotzdem habe ich versucht, wichtige Stationen einzufangen, die zudem noch mit Wessenberg in Verbindung stehen. Ich möchte nun noch auf die gesellschaftliche Rolle der Wessenberg-Brüder in der Schweiz und auch außerhalb der Schweiz im Europa dieser Zeit kurz eingehen: Ignaz Heinrich hatte das Bistum Konstanz zum größten Teil schweizerisch, leidenschaftlich erobert und seine kirchenpolitischen Maßnahmen und Ideen haben Störungen mit der römischen Kurie und dem Papst zur Folge. Was die Schweizer Gesellschaft betrifft, so greift hier das Phänomen der Polarisierung im Charakterisieren von politischen Persönlichkeiten oder Figuren des damaligen öffentlichen Lebens. Beim Diplomaten Johann Philipp von Wessenberg finden sich immer wieder Vorbehalte gegenüber einer so genannten kantonalen Spießbürgerei. Karl Marx schildert die Creme der schweizerischen Gesellschaft trefflich in einem Artikel der Neuen Rheinischen Zeitung (Dezember 1848). Ich zitiere: Wenn man die Tribüne des Nationalrats betritt, so muss man sich wundern über die Mannigfaltigkeit der Figuren, die das Schweizer Volk zur Beratung seiner gemeinsamen Angelegenheiten nach Bern geschickt hat. Wer nicht vorher schon einen guten Teil der Schweiz gesehen hat, begreift kaum, wie es möglich ist, dass ein Ländchen von ein paar hundert Quadratmeilen und nicht dritthalb Millionen Einwohnern eine so bunte Versammlung zustande bringen kann, scharf markierte Gesichter, ziemlich viel Bart, sorgfältig gepflegtes Haar, moderne Kleider nach Pariser Schnitt, die Repräsentanten der französischen und italienischen Schweiz, die Welschen; hinter diesen sitzt eine kurios gemischte Gesellschaft über deren Kostümierung die Hand einer gewissen Zivilisation hinweggegangen ist, dann schweizerische Offizierstypen, mehr feierlich als kriegerisch in Gesicht und Kleidung etwas veraltet, dann das Gros, bestehend aus unbeschreiblich physiognimierten und kostümuierten ältlichen und altfränkischen Herren, jeder verschieden – ein Typus für sich und meistens eine Karikatur. Alle verschiedenen Arten des Spießbürgers, des Kantönli-Oligarchen.“ Soweit ein kleiner Auszug aus Marx´scher Schweiz. Schauen wir schnell in einen Brief von Friedrich Zschokke an Ignaz Heinrich von Wessenberg: „Der Geist der Urkantone ist oligarchisch geblieben und das Spießbürgerwesen veranlasst blutige Auftritte.“ Auch die Schweizer selbst konnten sehr wohl ihre Mitbürger charakterisieren. So z.B. in Zschokkes Schweizerlandgeschichten für das Schweizervolk die 1822 in Aarau erschienen sind! Im letzten Vortrag wurde Zschokke schon erwähnt, so dass eine nähere Vorstellung sich erübrigt. Grundsätzlich ist natürlich zu sagen, dass bei Ignaz Heinrich das Reich der persönlichen Beziehungen, sprich Freundschaft, wesentlich deutlicher aufscheint, besonders durch die hervorragend edierten Briefnachlässe. Die Beziehung zu Zschokke ist ich aber besonders interessant, da es sich um eine kongeniale Mischung von wahrer Menschlichkeit und Freiheit handeln dürfte. Beide Wessenberg schätzten aber auf der anderen Seite das edle Gemüt und die geistreiche Gesellschaft, die sie bei den alten Genfer Bekannten und Freunden, Pictet (die auch hier an den Gestanden des Untersees waren, wie wir von Dominik Gügel in seinem Vortrag hier im Hause hörten), Sismondi, der Stael und den Baseler Freunden, u.a. Burkhardt und Merian, gefunden haben. Peter Burckhardt hatte das Amt des Landammanns der Schweiz inne und der Basler Bürgermeister Andreas Merian wird am Ende des Ancien Régime als führender Kopf der Aristokraten hingestellt. So unterschiedlich die Berufe der Wessenbergbrüder waren, so unterschieden sich auch die Kontakte zu den Menschen auf ihrem Weg. Die fast familiäre Verbundenheit im diplomatischen Leben der Wessenbergbrüder mit vielen Herrscherhäusern Europas zeichnet ein wahrhaft unbekanntes und vielleicht unverständliches Bild für unsere Zeit. Wenn man auf die Bemühungen des aktuellen Verfassungskonvents der EU schaut, dann ist da wahrlich keine familiäre Bindung in irgend einer Weise auf irgend einer Ebene der Diplomatie oder der Machthaber aller Couleurs zu finden. Wir erkennen heute nur mehr rudimentäre Reste von einer europäischen Gemeinschaft in den herrschenden und miteinander zwangsläufig verwandten Königshäusern Europas. Doch wie lange noch? Johann Philipp bezeichnete einmal während der Pariser Consulta die Schweiz als Schwester von Holland. Er meinte, dass in diplomatischen Verhältnissen diese beiden Staaten in vollständiger Abhängigkeit zu Frankreich stünden. Wie haben nun die Brüder Wessenberg ihre jeweiligen Beziehungswelten erfahren. Nehmen wir ein Beispiel: Napoleon I schuf 1805 das Königreich Holland und bestimmte seinen Bruder Louis mit der Regentschaft. Dessen Gattin Hortense wurde Königin von Holland. Nach einem baldigen Thronverzicht und dem Tod von Louis begann eine Lebenswanderung dieser Frau, die ein nicht kleines und unwichtiges Stück von Ignaz Heinrich von Wessenberg begleitet wurde. Über diese Fakten können wir getrost schweigen, denn sie sind schon ausführlich und sehr farbig von dem Arenenbergkurator Gügel behandelt worden. Johann Philipp hat sich in dieser
Angelegenheit eher zurückgezogen, jedenfalls schriftlich. In einem Brief
an Ignaz Heinrich 1823 schrieb er: Worum geht es? Ich vermute einmal, es waren die typischen Vorurteile, geprägt von den Höfen in Wien und Karlsruhe. Sicher hat man die konspirierenden Kräfte gespürt, die von den von Napoleon geschaffenen Königen und Königinnen ausging. Wer aller am Arenenberg ein und ausging, das haben wir ja sehr schön von Herrn Kurator Gügel erfahren dürfen. Lassen Sie mich nun das Blickfeld nochmals erweitern und über ein englisches Zwischenspiel berichten. Es soll aufzeigen, welche Kräfte damals in Europa herrschten und welch divergierenden Einfluss die Wessenbergbrüder hatten. Johann Philipp von Wessenberg wurde vom Kaiser und von Metternich gemeinsam mit dem Fürsten Esterhazy in eine hohe politische und diplomatische Mission nach England gesandt. Um nichts Geringeres ging es da bei der sogenannten Londoner Konferenz als um die Gründung von Belgien. Ja, an der Wiege dieses Königtums stand nicht Napoleon und auch nicht seine Familie, sondern ein Wessenberg. Die anlässlich des Wiener Kongresses geschaffenen Niederlande (damals einschließlich Belgiens und Luxemburgs) wurden neu konstituiert und man trennte Belgien ab und erkor für dieses neutrale Land einen König. Es war also nicht nur die Schweiz in die Neutralität gebracht worden. Am Abend des 25. August 1830 kam es an der Brüsseler Oper während der Arie „Heilige Liebe zum Vaterland“ zu ersten Tumulten, später zog dann das Publikum aus dem Theater hinaus und stürmte den Justizpalast. Der Beginn einer neuen Ära. Nach der Konstituierung einer provisorischen Regierung in Brüssel starteten die Großmächte eine Konferenz in London zur Errichtung eines neuen stabilen Staatsgebildes. Vom österreichischen Bevollmächtigten ging damals sehr viel aus. Vor allem kannte er Leopold I. (Sachsen-Coburg) schon seit 1811 von seiner Gesandtentätigkeit in München, wo er sich ihm nützlich erwies. Ebenso im Jahre 1816 als Wessenberg ein Mitglied der Territorialkommission in Frankfurt dem Hause Coburg hinsichtlich eines Gebietstausches mit Preußen dienlich sein konnte. Leopold der erste König von Belgien schuldete also Wessenberg Dank. Und Dank ist sicher eine Kategorie in ungeklärten Fragen. Denn ein Brief Johann Philipps aus England an seinen Bruder Ignaz Heinrich beschreibt einen Besuch: die „Herzogin von St.Leu ist hier“, also Hortense, die Königin von Holland“ am 14.6.1831: „ich werde sie ehestens treffen, sie ist sehr beklagenswert!“ Man kann daraus erkennen, dass Johann Philipp sehr oft und intensiv die beklagenswerten Schicksale der königlichen Damen aus vielen Ecken und vielen persönlichen Schicksalen her kannte. Und so wie Johann Philipp „La Reine Hortense en Angleterre pendant l´année 1831“ getroffen hatte und wir wissen leider zu wenig über diese Begegnung, so hat sein Bruder Ignaz Heinrich sie noch die restlichen Tage und Jahre bis 1837 begleiten und betreuen dürfen. Übrigens 1831 veröffentlichte Ignaz Heinrich sein Buch „Julius – Pilgerreise eine Jünglings.“ inmitten einer Welt der Verschwörungen. Trotz der guten Beziehungen zu Hortenses Sohn Louis Napoleon, glaube ich nicht, dass er damit diesen Jüngling gemeint hat. Vielmehr wusste er von einer Unterredung der Bonapartisten in London, wo man die Ansprüche auf den französischen Thron dem Verbannten vom Arenenberg überlassen wollte. Kunde davon brachte auch ein Abgesandter des Exkönigs Joseph der Journalist Fialin de Persigny, der ein führender Kopf von Verschwörungen werden sollte. Doch zurück zur Schweiz: Wessenberg schrieb an Zschokke im Jahre 1833: soeben erfahre ich durch Louis Napoleon, dass sie nach Zürich gehen als Mitglied der Tagsatzung. Wie die Kanäle der Information damals aussahen kann man sich fast nicht ausmalen. In einer Strophe des „Julius“ heisst es: Den Rhein begrüßend, er im Freien stand, sah er Malans, wo auf berühmten Matten der Dichter Salis weilt im Wallnussschatten.“[6] Ignaz Heinrich’s Beziehung zu dem zu seiner Zeit berühmten schweizerischen Dichter Johann Gaudenz von Salis hatte also einen wesentlichen größeren Ausschlag gegeben und die zu dieser Zeit am Arenenberg aufgefallenen Franzosen, Italiener, Russen und Polen, alles Männer, die von freiheitlichen Ideen träumten und dort willige Aufnahme fanden, stehen sicher in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Julius! Die Wessenbergbrüder haben also in ihrer jeweiligen Biographie eine Königin von Holland und einen König von Belgien. Sie haben sich ein Leben lang begleitet, geistig und in vieler Hinsicht, aber die tatsächlichen Beziehungsfelder haben sich sehr bald schon abgelöst und getrennt. Der in der Schweiz und in Baden, besonders in Konstanz hochgeachtete letzte Bistumsverweser Ignaz Heinrich, der populäre Wessenberg, bleibt in seinem Verhältnis zum Bruder immer noch ein Geheimnis. Unbestritten und kein Geheimnis ist
die Feststellung von Heinrich Friedjung aus dem Jahre 1907:
Ausgewählte Literatur zum Vortrag am 27.6.03 im Bodman-Literaturhaus in Gottlieben Ignaz Heinrich von Wessenberg (anonym): Der Geist des Zeitalters. Ein Denkmal des achtzehnten Jahrhunderts zum Besten des neunzehnten errichtet von einem Freunde der Wahrheit. Zürich, Orell, Füssli u.Co., 1801 Ignaz Heinrich von Wessenberg: Julius. Pilgerfahrt eines Jünglings. Gedicht in sieben Gesängen. Stuttgart und Tübingen, Verlag der J.H.Cotta´schen Buchhandlung, 1831 Ignaz Heinrich von Wessenberg: Unveröffentlichte Manuskripte und Briefe (Hg. v. Kurt Aland und Wolfgang Müller) Bd. I/1 Autobiographische Aufzeichnungen. Freiburg,Basel,Wien, Herder, 1968 Bd. II Die Briefe Johann Philipps von Wessenberg an seinen Bruder. Fbg., 1987 Rudolf Herzog, Othmar Pfyl: Der Briefwechsel 1806-1848 zwischen Ignaz Heinrich von Wessenberg und Heinrich Zschokke. Hg.v.d. Allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz, Basel, Krebs AG, 1990 Manfred Weitlauff, Markus Ries: I.H.v.Wessenberg und Thaddäus Müller. Briefwechsel 1801-1821, 2 Bde. (Quellen zur Schweizer Geschichte), Krebs AG, Basel, 1994 Johann Philipp von Wessenberg (anonym): Feuilles dètachées de L´Album d´un homme retiré du monde.O.O.u.J. (ca.1820) Alfred Ritter von Arneth: Johann Freiherr von Wessenberg. Ein österreichischer Staatsmann des 19. Jahrhunderts, 2 Bde., Wien und Leipzig, Wilhelm Braumüller, 1898. August Fournier: Gentz und Wessenberg. Briefe des ersten an den zweiten. Wien und Leipzig, Wilhelm Braumüller, 1907 Friedrich Carl Wittichen: Johann von Wessenberg über Friedrich von Gentz. MIÖG28, Oldenbourg Otto Henne-Am Rhyn: Das Buch der Mysterien. Leben und Treiben der geheimen Gesellschaften aller Zeiten und Völker. St.Gallen, Verlag von Altwegg-Weber zur Treuburg, 1869 Karl Marx: Der Nationalrat. Neue Rheinische Zeitung Nr.165 vom 10.Dez. 1848 (in:Marx-Engels Werke, Bd.6, Berlin, Dietz/DDR, 1959) Golo Mann: Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes. Zürich, Europa Verlag, 1947 Harry Pross: Söhne der Kassandra. Versuch über deutsche Intellektuelle. Stuttgart, Kohlhammer, 1971 (über Golo Mann und Friedrich Gentz S.126) Edmund Burke: Betrachtungen über die Französische Revolution (in der deutschen Übertragung von Friedrich Gentz), Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1967 Montesquieu: Vom Geist der Gesetze, Stuttgart, Reclam, 1965 Jean Gebser: Ursprung und Gegenwart, 2. Teil. Die Manifestationen der aperspektivischen Welt (Die Sozialwissenschaften, I. Recht, S.561) München, dtv, 1973 Dorothy Gies McGuigan: Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan. Wien, München, Zürich, Molden, 1979 Hilde Spiel: Der Wiener Kongress. Düsseldorf, Rauch/Butzon&Bercker Kevelaer, 1966 Harold Nicolson: The Congress of Vienna. A Study in Allied Unity 1812-1822, London, Constable&Co Ltd., 1946 Jean Gabriel Eynard: Au Congrès de Vienne. Journal de Jean Gabriel Eynard. Paris, 1914 Emil Ludwig: Napoleon. Random House, New York, 1915 Alain-Jacques Tornare :_Magazine Histoire: La Mediation….(über Louis d´Affry) Greyerzer, 2003 Merian : Das Monatsheft der Städte und Landschaften im Hoffman und Campe Verlag Hamburg Heft 1/28. Jg. Die Schweiz (historisches Kartenmaterial!) [1] Dorothy Gies McGuigan: Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan, S.387 Hilde Spiel: Wiener Kongress, S.283 2 Aus den Briefen von Johann Philipp v.Wessenberg an seinen Bruder (Hg.v.Aland) Brief 28 (StKN 2710,44) 3 Briefwechsel Wessenberg-Müller Teil 1, S.386(FN4) 4 Kurt Weigand: Einleitung zu Montesquieues „Vom Geist der Gesetze“, Reclam, Stuttgart 1965, S.56f [2] Conrad v. Muralt ist Herausgeber der Tagebücher und Briefe von Hans Reinhard, Zürich 1838 [3] Beat Junker: Geschichte des Kantons Bern seit 1798, Bd1, Historischer Verein des Kanton Bern, 1998 [4] Nach dem Stammbaum von Walter Merz, Aarau 1929, war Scholastika von Sickingen eine 2-fache Urgroßmutter von Johann und Ignaz v. Wessenberg. Sie war Tochter Franz Conrads (1626) und Frau des Herrn auf Burgtal zu Biederthan, Truprecht v. Wessenberg (gest. 1655). Truprecht ist Bruder von Humprecht, des 1. Herrn auf Feldkirch i. Br, verheiratet mit Katharina v. Ampringen [5] Brief 22. 1. 1858 von J.P. v. Wessenberg Nr.917 [6] Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)
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