Napoleon auf Wessen Berge? |
||
"So gesteht Baron Wessenberg unter 4 Augen..." |
||
Ein Vortrag von Peter Heinrich von Wessenberg im Bodmanhaus in Gottlieben, April 2003 im Rahmen der Ausstellung des Napoleonmuseum Arenenberg |
||
Lassen Sie mich meinen Vortrag mit zwei Österreichern beginnen, die so typisch für das alteuropäische Element dieses einstmals größten Völkergemisches sind. Beide haben Österreich betreten, in Wien gelebt und es wieder verlassen, sie sind auch beide nach London gegangen und sie sind von immenser Bedeutung für unser heutiges Bewusstsein. Fangen wir mit dem auch noch in der Schweiz reüssierenden Elias Canetti an: Immerhin ist er auch in Zürich in die Schule gegangen und hat seinen Lebensabend ein bisschen schweizerisch gefärbt. In seinem bedeutendsten Werk „Masse und Macht“ schreibt er über die Schweiz Folgendes: „Ein Staat, dessen nationale Kohäsion von niemand bestritten wird... die Vielzahl der Sprachen, die Vielfalt der Kantone, ihre unterschiedliche soziale Struktur, der Gegensatz der Religionen, deren Kriege gegeneinander noch in historischer Erinnerung sind – nichts vermag dem nationalen Selbstbewusstsein der Schweizer ernsthaft Abbruch zu tun. Allerdings haben sie ein Massensymbol gemein, das ihnen allen jederzeit vor Augen steht und unerschütterlich ist wie das keines anderen Volkes: die Berge". Wessen Berge? Dies ist eine scherzhafte Bemerkung, aber sie ist auch voller Symbolik und die Kraft dessen soll in den weiteren Ausführungen zum Tragen kommen! Jetzt zum zweiten Österreicher. Es ist Sigmund Freud. In seinem Werk über das „Unbehagen in der Kultur“ wird, wie anders eben bei einem Psychoanalytiker, das Über-Ich strapaziert. Er schreibt: „Das Über-Ich einer Kulturepoche hat einen ähnlichen Ursprung wie das des Einzelmenschen, es ruht auf dem Eindruck, den große Führerpersönlichkeiten hinterlassen haben.“ Und damit sind wir schon beim „antiken Gepräge der Gestalt Napoleons“ – wie Freud ausführt. „Dass Napoleon sich zur Zeit seiner orientalischen Unternehmungen, wenigstens mit Alexander mythisch verwechselt hat, braucht man nicht zu bezweifeln, und später als er sich für Abendland entschieden hatte, erklärte er: Ich bin Karl der Große! Wohlgemerkt – nicht etwa: ich erinnere an ihn, nicht meine Stellung ist der seinen ähnlich. Auch nicht: ich bin wie er. sondern einfach: Ich bins. Das ist die Formel des Mythos.“ Und damit wissen wir womit wir es nun zu tun haben! Einmal ist es Bonaparte – die Charakteristik des Kaisers Napoleons des Ersten, dann ist es Louis Bonaparte. Mit dem einen verkehrte er als junger Mann in Paris, den anderen kennt er von Jugend auf. Wer ist gemeint? Unser heutiger Hauptzeuge der Geschichte, der vierfache Urgroßvater von mir, Johann Philipp, der im Moniteur von 1814 zitiert wird: „.... so gesteht selbst Baron Wessenberg unter vier Augen.“ Was gesteht derselbe? Und steht es wirklich im Journal officiel de l´Empire francais? Nun er soll unter vier Augen gestanden haben, dass es „unter Napoleon besser war in Italien, als unter den Österreichern!“. Wird man heute einem verdienten Diplomaten aus dem 19. Jahrhundert einen Strick drehen? Das Einzige was wir daraus machen, das ist die Thematisierung von Napoleon und was ereignete sich – zum Beispiel in der Schweiz – zur Mediation, oder zur Consulta in Paris – in den Jahren 1802/03? Vielleicht sagen ja auch die Schweizer hinter vorgehaltener Hand und unter 5 Augen oder Dreien: Unter Bonaparte ging es besser als unter den Österreichern!? Wir haben einen weit gefächerten Bereich von Stoffen, blättern wir ein wenig darin. Paris – Schweiz – Wien Johann Philipp Reichsfreiherrvon Wessenberg zu Ampringen Der 1773 als Sohn von Philipp Carl, dem Stifter der Kaplanei des mindestens seit dem 14.Jhdt. bestehenden Familienbesitzes Schloss Burg im Leimental (heute Kanton Basel-Landschaft), eines Konferenzministers und Obersthofmeister der Kurfürstin Amalie von Sachsen und der Maria Anna Gräfin von Thurn und Valsassina, erhielt am 25.1.1791 durch eine Bulle des Papstes die erste Possess als Domherr des Fürstbistums Basel. |
||
Nachdem das Domkapitel
(alles Adelige deren Eintrittsbedingungen eine 16er Ahnenprobe (eine adelige
Herkunft der Ururgrosseltern erforderte) nach dem 1792 stattgefundenen
Einmarsch der Franzosen am Sitz der Domherren in Arlesheim unter Hausarrest
gestellt und im Frühjahr 1793 nach Freiburg i.Br. übersiedelt wurde und der
Fürstbischof Joseph-Siggismund von Roggenbach gestorben ist, trat Johann
Philipp, der sich als Kanoniker Nepomuk nannte, von seinem päpstlichen
Privilegium zugunsten seines jüngeren Bruder Aloys zurück. Von nun an war seine Karriere außergewöhnlich und zeigt die große Begabung dieses Mannes. |
||
rechts: aus einem Brief von Joh.Ph.“Nepomuk“ von Wessenberg an seinen Bruder Ignaz Heinrich (Stadtarchiv Konstanz)
|
|
|
Wir betreten mit Johann Philipp die Schweiz und da überquert gerade die Reservearmee unter Bonaparte von Martigny aus den Grossen St. Bernhard. Die Eidgenössische Militärbibliothek und der historische Dienst veranstaltete im Mai 2000 ein Kolloquium mit dem Titel „Bonaparte und die Alpen“. Also man scheint um Napoleon nicht herumzukommen und Napoleon nicht um die Schweiz. Allerdings gab es 1998, anlässlich der 200. Wiederkehr der Konstituierung des helvetischen Einheitsstaates (Helvetische Republik) eine heftige Kontroverse. Es zeigte sich, dass die kantonalen Geschichtsbilder kein gemeinsames Andenken an die „Franzosenzeit“ zu geben scheinen, wie Andreas Fankhauser (Andreas Fankhauser ist Leiter des Staatsarchivs und der wissenschaftlichen Dienste des Kantons Solothurn) in seinem Beitrag über „Der Kanton Bern unter der Trikolore 1798-1803“ ausführte. Ja man ging soweit zu sagen: “kein Fest für Napoleon“. Johann Philipp von Wessenberg kannte Napoleon persönlich. Er schreibt in seinen Tagebüchern: „Schon als ich ihn in Paris als ersten Konsul im hochroth sammeten reich goldgestickten Staatskleid mit weißen Strümpfen, goldenen Schuhschnallen, einem Degen mit Diamantknopf und Federhut erblickte, hatte ich Mühe in ihm den Sieger von Monte Notte zu erkennen.“
|
||
Was um alles in der Welt machte Johann Philipp im schweizerischen Mediationswinter 1802/03 in Paris!? Pestalozzi war dort...Es ist schwer sich Bonaparte mit Pestalozzi zusammen vorzustellen und doch war es so. Die Geschichten über den Anzug des Schulmeisters, das adäquate Gewand für die Sitzungen im Schloss von St. Cloud und die Audienz in den Tuilerien, für den seine Kollegen gesammelt haben, das sind nur Karikaturen ohne Wert. Viel bedeutsamer sind die Hintergründe für die sogenannte Consulta in Paris. Und so wiederhole ich die Frage nach dem Wessenberg in der Schweiz und in Paris. Johann Philipp war im Jahre 1789 in sein sechszehntes Lebensjahr getreten und da erlebte er mit seinem Vater und seinem Bruder Ignaz die herrlichen Naturschönheiten der Schweiz. Es war zur gleichen Zeit als in Paris die „französische Nationalversammlung“ neue goldene Zeiten zu versprechen schien, als er in Zürich die Bekanntschaft von Lavater, Gessner u. Füssli (Siehe: Autobiographische Aufzeichnungen von Ignaz H.v.Wessenberg, Hg.K.Aland, , Herder, Fbg.i.Br.,1968 und in : Alfred v.Arneth, Johann Philipp Frh.v.Wessenberg, Bd.1, Braumüller, Wien, 1898) machte. Nicht nur auf Grund dieser Erfahrung – ehrfurchtsvoll blickte der junge Mann zu diesen Männern empor – fühlte er – trotz seines privilegierten Standes – die Freude eines Aufschwunges der politischen und sozialen Zustände. Freilich gab es Befürchtungen über chaotische Zustände und als dann 1790 der kaiserliche Freund seines Vaters Joseph II. starb, da wurden die Sorgen in traurige Ahnungen von schreckerregenden Schauspielen gewandelt. Und sie haben sich bewahrheitet. Auch Lavater, dessen Kritik an der französischen Invasion in der Schweiz nicht unbestraft blieb, sollte im Zusammenhang mit einer Kriegsverwundung zugrunde gehen. Vor dem Besitz der Wessenberg, ihrem Schlösschen Feldkirch wurde plötzlich das alte Städtchen Breisach in Brand geschossen. In welcher Weise die damalige Fahrt Johann Philipps nach Paris vonstatten ging, das ist leider unbekannt. Aber er war tatsächlich am 14. Juli 1890 persönlich anwesend beim ersten Pariser Nationalfest. Und erblickte "die Tränen Marie Antoinettes". Also eine Affinität zu den Schauplätzen des großen Geschehens. |
||
Die äußerst kompliziert gestalteten Staatskonsolidierungen der Schweiz, mit Ach und Krach der Umwälzungen im sozialen und politischen Körper der verschiedensten Gemeinwesen und Herrschaftsstrukturen, die können wirklich sehr genau mit Hilfe der Wessenberggeschichte verfolgt werden. |
||
Ein winzig kleiner Abstecher noch in die Frühgeschichte der Eidgenossenschaft und auch ehemaligen habsburgischen Macht. In Königsfelden unweit der Stammveste Habsburg und der Wessenburg im Aargau, am schweizerischen Wassertor (o.auch Wasserschloss genannt) gelegen, da ist eine Erinnerung an die dort bestattete Agnes von Habsburg-Lauffenburg (1352). Ein Enkel von ihr, der Johann IV (1392) heiratete eine verwitwete Agnes von Wessenberg. Und an der Nordmauer des großen Kirchenschiffes sind Memorientafeln der mit Herzog Leopold dem III. bei Sempach gefallenen Ritter angebracht. Auch ein Wilhelm und ein Johann von Wessenberg waren unter den gefallenen Rittern! (Und jetzt springe ich noch kurz in die Gegenwart und Zukunft. Der erwähnte Johann IV von Habsburg-Laufenburg hatte eine Schwester Agnes die sich mit einem Donat von Toggenburg vermählte. Und ein Nachfahre des Letzteren Gabriel Nikolaj von Toggenburg ehelichte meine Tochter Pascale Irene. Meine Enkelkinder sind also Toggenburg mit denen die Wessenberg bereits vor 800 Jahren verwandt gewesen sind! Verzeihen Sie bitte diesen Ausflug in die alten Ströme der Familiengeschichte.) |
||
Im Jahre 1998 hielt der Bundesrat Arnold Koller eine Festrede zu Frauenfeld im Rahmen „200 Jahre freier Thurgau“ . Er sprach von der „samtenen Revolution“. „ So haben wir die Landschaft Thurgau frey und ledig gesprochen“, heißt es im Freilassungsbrief der Tagsatzung vom 3. März 1798. Nichts mehr weist heute – außer die historische Erinnerung – darauf hin, dass der Thurgau und andere Kantone in der Alten Eidgenossenschaft ein Untertanengebiet war. Die so genannte Freiheit war eine zentralistische„Helvetische Republik“ . Johann Philipp schreibt am 29. Dez. 1801 als Gesandter von Berlin an seinen Bruder: „Ich habe einigermaßen vermutet, dass Bonaparte die neue Reform nicht genehmigen werde. In der Schweiz rangen die Unitarier und die Föderalisten um die politische Neugestaltung. Im Oktober 1801 verdrängten die Föderalisten mit französischer Hilfe die Unitarier aus den Behörden. Der französische Gesandte Raymond Verninac hatte in den Kampf der Parteien eingegriffen, da die Unitarier an dem von Napoleon ausgearbeiteten Verfassungsentwurf – der sog. Verfassung von Malmaison – Änderungen vorgenommen hatten." Dachte man, dass Napoleon, der damals in Ägypten weilte nicht mehr auf die Schweiz achten würde? Freilich ist nicht Johann Philipp allein der große Meister der Bekanntschaften, Beziehungen und Freundschaften. Die Helvetik hatte Zschokke und Pestalozzi ( Im Jahre 1802 wanderte auch Johann Philipp zur Abtei Königsfelden und gedachte der Ermordung König Albrechts I. ) in Luzern, - nach Aarau Hauptstadt der Helvetischen Republik in einer labilen Zeit an einem schwierigen Ort - dem Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Österreich zusammengeführt. Auch der Konstanzer Kirchenfürst Ignaz Heinrich von Wessenberg war dabei. Ja er hat als Bistumsverweser und Regierungspräsident der Diözese Konstanz mit dem Staate Luzern, der eben nach der Zentralisierung der Helvetik zu sich gekommen ist, ein Konkordat betreffs Pfründenausgleich abgeschlossen, wodurch sein Name in aller Munde geriet. Was durch die Konflikte Wessenbergs mit der römischen Kurie natürlich befördert wurde. Ignaz Heinrich sah keinen Grund, einen in die Gefangenschaft Napoleons geratenen Papst um Vollmacht zu befragen. Das Angebot des päpstlichen Nuntius in Luzern, aushilfsweise Vollmachten zu erteilen, wies Wessenberg zurück. Testaferrata war ja nicht einmal Bischof und galt ihm nichts.
|
||
Soweit man
blickt, ganz tief in schweizerische Landen – es wird immer und häufig „wessenbergisch“.
Und dabei ist die Unterscheidung zwischen den Brüdern Ignaz Heinrich und
Johann Philipp zu treffen. Der Erstere hat zum Beispiel Thaddäus Müller (1763-1826 – Stadtpfarrer von Luzern und bischöflich-kostanzischer Kommissar, einer der regsten Briefpartner von Ignaz Heinrich), sowie den Karl Müller von Friedberg als Begleiter seiner Spaziergänge in Konstanz und am Bodensee. Der Andere traf diesen prominenten schweizerisch-st.gallischen Polituniversalisten und Geschichtsannalisten zur Debatte um die Mediation Bonapartes Anno 1803 in Paris. Die bewegten Jahre zwischen 1798 und 1848 und darüber hinaus besaßen durchaus ein politisches Klima der ständigen Veränderung. Aber nicht nur bei den sog Geschöpfen Napoleons sondern im geistigen Klima. In Wien anlässlich ihrer Studien standen die Brüder Wessenberg mit dem Verfasser der großen Schweizer Geschichte Johannes von Müller in häufigem Kontakt. Derselbe hat seinem damaligen Schüler Erzherzog Johann von Österreich-Habsburg, dem Urheber und Gründer des Joanneums, die besondere Liebe zur Natur eingeimpft. Und Johann Philipp von Wessenberg wurde des Erzherzogs lebenslanger bewährter Freund und Mitstreiter (von der historischen Forschung bis zur Politik im Frankfurter Bundestag). Ja sogar zu seinem Sterbebett eilte der Habsburger nach Freiburg! |
||
|
||
In den von Johann Philipp handschriftlich verfassten Betrachtungen zu „Wilhelm Tell“ (welche von seinem Enkel Graf Blankensee-Fircks an das Wiener Haus-Hof-und Staatsarchiv übergeben wurden) bezieht er sich auf eine Korrespondenz von Johannes Müller mit J.H.Füssli vom Jahre 1785. Und er stellt fest, dass J. Müller offensichtlich Verlegenheit hatte, den Wilhelm Tell als historische Person festzuschreiben. Nichts desto trotz wird berichtet, der Mannesstamm der Tell´s ist mit Johann Martin 1604 und der weibliche mit Verena Tell um 1720 erloschen. Vieles von der Literatur wurde hier aufgearbeitet, überlegt und studiert. Schade, dass man sich darüber heute noch so gar kein rechtes Bild machen kann. Napoleon aber konnte sich ein Bild von der Schweiz machen. Er kannte sogar das Schillersche Tell-Drama, sodass er einmal gesagt haben soll: "Die Söhne Wilhelm Tells zahlen keine Steuern!" | ||
„Also sprach Napoleon“, so betitelte der St. Galler Staatsarchivar Markus Kaiser seine Betrachtungen zum Kantonsjubiläum. Die neuen sechs Mediationskantone, die früheren Untertanengebiete St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt – die eigentlichen Napoleonkantone haben praktisch identische Verfassungen und erhielten Landammänner eingesetzt. Für St. Gallen war dies Karl Müller von Friedberg, der von dem Autor des streitbaren thurgauischen Kantonführers (erschienen 2002) Markus Schär (Journalist, St Galler Tagblatt) als Verfassungsgeber der Helvetische Republik gewürdigt wird. Schauen wir kurz in Müller-Friedbergs Betrachtungen über die Geschichte. Er hat als langjähriger Landammann und Gründer des Kantons St. Gallen, als Aussenminister der Helvetik und zuletzt Landvogt im Toggenburg die „Geschichte seiner Zeit“ unter dem Titel „Annalen der Schweiz“ geschrieben: „Die französische Besitznahme der Alpen zog 1799 den Einfall der Austro-Russen dahin.“ schreibt Müller-Friedberg. Diese sogenannten Austro-Russen lernte Johann Philipp, der damals dem Hauptquartier des Erzherzog Karls zu Stockach zugeteilt war, persönlich gut kennen. Er berichtet darüber: “Im September 1799 erlebte ich die furchtbare Niederlage, welche die Russen unter Korsakow bei Zürich erlitten, sowie den unheilvollen Rückzug österr. und russischer Truppen, bei dem ich zur Rettung von kaiserlichem Kriegsgut wesentliche Dienste zu leisten vermochte.“ Auch der Stadt Konstanz erwies er sich als hilfreich, als der russische General Titoff mit den Überresten seiner Brigade vor dieser Stadt erschien und Wessenberg um Auskunft um die Stellung des Feindes, sowie um Brot für seine todmüden Leute bat. Titoff war, wie Wessenberg erzählt, ganz ohne Ahnung davon, dass die Stadt, die er vor sich hatte Constanz heiße. Dringend fragte er, wo denn der Gotthard sei und ob auch Genf an dem See liege, den er vor sich ausgebreitet sah (Alfred v. Arneth: Lebensbild von J.Ph.v.Wessenberg in 2 Bd., Bd. 1, S.16 Braumüller, Wien, 1898). Also hierbei kann man nur sagen, dass Müller-Friedberg´s Austro-Russen nicht auf einer objektiven Betrachtungsebene stehen können. Seine Redeweise ist blumig und treibt manches aus den Sümpfen des Alltags hervor. „Das Franzosenjoch hatte doch ein Übel abgewendet,“ so meint Müller-Friedberg, „nämlich Versunkenheit der Schweiz in innerer Zerstückelung und Pöbelherrschaft, welche aus der faulen Gährung, von Herrscherlingen unvermeidlich entsprungen wären. Das hitzige Fieber der Ohnehosen-Helden (unter Firma der Brüderschaft und der Volksrechte) war ziemlich verraucht und mäßigere Ansichten bekamen Gewicht.“ Johann Philipp hatte in Paris Gelegenheit die Geschäfte der schweizerischen Politiker zu betrachten. So schreibt er 1803 über Müller-Friedberg: „Er ist mit dem von Bonaparte vorgeschlagenen Federativ-System gar nicht zufrieden – wahrscheinlich weil er seine Rolle nicht mehr spielen kann. Übrigens bin ich selbst der Meinung, dass der Plan des ersten Konsuls nicht auf die Stärke, sondern auf fortwährende Schwäche der Schweiz berechnet ist. Es wird nun Streitigkeiten in jedem Kanton selbst geben, die Demokratie der kleinen Kantone wird immer für die Bauern der ehemaligen aristokratischen Kantone gefährlich sein. Wenn die Mehrheit auf dummen Teufeln und eigensinnigem Hagel besteht, dann wehe der republikanischen Freiheit!“ Zu den Müllers von Johannes von bis von Friedberg ist noch zu ergänzen, dass auch Ignaz Heinrich in seiner vom Papste erzwungenen Auszeit als Bischof von Konstanz in derselben Stadt nach 1831 mit etlichen Schweizern aus adeligen und patrizischen Familien stammend zu tun hatte, u.a. auch mit dem Sohn vom eben erwähnten, dem Karl-Beda Müller-Friedberg (er lebte in Konstanz bis 1863).Wessenbergs Freund Heinrich Zschokke (1771-1848) schrieb: Er beneide Wessenberg um den täglichen Umgang mit ihm, er zähle ihn zu den geistvollsten unserer Schweizer! Wir haben jetzt eine Reihe bedeutender Schweizer im Zusammenhang mit den Wessenbergs vorgestellt. Jetzt ist es Zeit wieder Bonaparte näher zu betrachten. Und wieder mit der Optik Wessenberg. Es scheint, als sei die Mediation des ersten Konsuls, der kurz danach Kaiser der Franzosen war, von heutigen Betrachtern durchaus positiv beurteilt. Es ist interessant, dass dieser Eroberer, Feldherr, Soldat eigentlich der herausragende Gesetzesgeber unserer Neueren Zeit war. Dank seiner Initiative und Beharrlichkeit wurde der Code Civil, das Rechtsbuch der bürgerlichen Gesellschaft vollendet und in Kraft gesetzt. Napoleon hat mit dem Code Civil zweifellos seine erfolgreichste Schlacht geschlagen. Dennis Tappy, Jurist an der Univ Lausanne befindet, dass nach einem Wunsch von gewissen Eidgenossen, etwa des Baslers Peter Ochs und des Waadtländers Frédéric-César Laharpe, nach einem ordnenden Einschreiten der Franzosen 1798, die Übernahme Napoleon als sog. Mediator (Vermittler) am 30.September 1802 eine Garantie für einen vollendeten Geschmack von Freiheit und Gleichheit gab. „Die alte Eidgenossenschaft war ein System von dreizehn Kantonen mit sehr unterschiedlichem Status, die gemeine Herrschaften und Untertanengebiete besaßen und zwischen denen wechselnde komplizierte Allianzen bestanden. Die Pariser Mediationsakte garantierte, dass es in der Schweiz fortan weder Untertanenverhältnisse noch Vorrechte auf Grund von Rang und Familie gab. Die verwendeten Formulierungen fanden sich noch in der schweizerischen Bundesverfassung, die am 1. Jänner 2000 aufgehoben wurde.“ Und André Salathé, Staatsarchivar, befindet in seinen Überlegungen zum Thurgau: „Die neuen Kantone waren die Baumeister des Bundesstaates, für sie war die Mediation von 1803 nicht eine kleine Restauration (als Vorläuferin der großen Restauration von 1815) sondern viel eher eine kleine Helvetik gewesen. Insbesondere für der Thurgau. Er verdankte der Helvetik seine Existenz und der Mediation seine Unabhängigkeit.“ Und Johann Philipp von Wessenberg schrieb am 29.
Dezember 1801 in Berlin: „ Ich habe vermutet, dass Bonaparte die neue Reform
Helvetiens (die Änderung des Verfassungentwurfs, ausgearbeitet durch
Bonaparte, genannt die Verfassung von Malmaison) nicht genehmigen werde. Er
wird das Schicksal der kleinen Republiken auf einmal entscheiden wollen.
Wenn Bonaparte langsame Schritte geht, so ist er verloren. Helden der
Revolution haben nur eine rasche Laufbahn und bisher scheint es nicht, er
wolle Washingtons Beispiele folgen. Die Schweizer Olygarchen werden durch
ihren Eigensinn wenig Gutes stiften – die Herstellung der alten Verfassung
ohne Modifikationen dürfte vielleicht ebenso gefährlich sein, als wenn man
einem Kranken, den ein Pfuscher verdorben hat, zuerst wieder in seinen
ersten Krankheitszustand setzen wollte, um ihn dann regelmäßig zu kurieren.“ In einem Swissinfo von Felix Münger (Schweizer Radio International – einem Unternehmen der SRG SSR ideé suisse) stehen sich zwei Schweizer gegenüber, welche über das Thema: Napoleons Diktat – ein Glücksfall für die Schweiz? diskutieren. Und ich bin geneigt festzustellen, dass die beiden Herren, Andreas Gross (Politologe und SP-Nationalrat) und Christoph Mörgeli (Historiker und SVP-Nationalrat) einfach einem Wunschdenken erlegen sind. Beide sehen nämlich die Napoleonische Mediationsverfassung nicht im wahren Licht. Gross sieht die Bundes-Verfassung von 1848 als prägend und epochal. Diese aber entstand allein aus dem eloquenten Bemühen aus den so genannten "Mediationskantonen" heraus. So sage ich heute. Mörgeli erklärte: Die Kantone erhielten eine gleichberechtigte Souveränität und in der Situation von 1803 war Napoleon bis zu einem gewissen Grad ein Glücksfall. Die Untertanengebiete – so Mörgeli weiter – und die Bürger minderen Rechts gab es nicht mehr. Die politische Gleichheit als Postulat der französischen Revolution blieb erhalten. Da widersprach Gross, indem er sagt: Kompromisse können nur Freie schließen. Die Eidgenossen hätten, wenn sie nicht in französischer Knechtschaft gebunden gewesen wären, das Potential zu weit mehr gehabt, als lediglich zur Teilrestaurierung des Ancien Régime. Das sieht nun ein neutraler Beobachter, wie Hanno Helbling, der langjährige Chef der Feuilletonredaktion der NZZ am 27. März d.J. etwas anders: Es gab die schweizerischen Gestalter und die Zaungäste der französischen Politik in der Schweiz. Darum geht´s und das ist Realitätsbewusststein! Wohlgemerkt kann natürlich der eine oder andere der politischen Kundschafter, etwa wie Karl Viktor von Bonstetten (Bonstettiana Bd.IX ;1801-1805, Hg.v.Do.u.P.Walser-W., Wallstein, Göttingen 1002,2 Bde) - ein Freund von Johannes von Müller - in Berlin eine im Ancien Régime bewiesene Hellsicht als Staatsdiener aufgezeigt haben, allerdings zur maßgeblichen Politik der Helvetik haben sich wenige Persönlichkeiten etwas zugetraut. Johann Philipp wusste aus intimen Kenntnissen aus den angeregten und leicht aufgeregten Runden im Salon der Madame de Stael von der Außenseiterrolle Bonstettens als Bewunderer Bonapartes. Daher müsste vielleicht auch hier eine Beurteilung erst näher untersucht und möglicherweise revidiert werden! Bonstetten war tatsächlich ein wichtiger Zeuge für die Wessenberg und in vielen Briefen werden seine Zitate wiedergegeben. Vom heutigen Gesichtspunkt kann man Hanno Helbling also nur hinterfragen, wenn er vom Mangel der Durchschlagskraft dieses Mannes und seiner Ära spricht. Erinnern wir uns nochmals an Pestalozzi, der im November 1802 an die Consulta nach Paris reiste. In der Kutsche saß an seiner Seite Jakob Kunz, der Wirt und Munizipalitätspräsident von Ersigen (Geschichtl. Daten d.Gh.Bären Ersigen:Jakob Kunz wird verzeigt wegen gottlosen üppigem Treiben!!) Während der Pädagoge im Hotel Grange Bateliére abstieg, logierte Kunz im Hotel de Provence. Bei der Abschiedsaudienz am 21.Feb.1803 in den Tuilerien sprach der 1. Konsul „avec affection et intèret » mit ihm. Also die ländliche Oberschicht zählte eindeutig zu den Gewinnern der Helvetik und in der Mediationszeit fehlten sie nicht so wie vor 1798. Ihr Selbstbewusstsein trotz marginaler Rolle war nicht gering, nicht so gering wie die Schweizer Nationalräte Gross und Mörgeli heute vermuten. Wie stark das Interesse von Johann Philipp an der Schweiz und seiner Geschichte war, das zeigen seine Aufzeichnungen über den Thurgau, das er zwischen 1802 und 1829 als Album geografico-historicum handschriftlich angefertigt hatte. Leider sind diese Schriften noch nie exzerpiert oder überhaupt in Anschauung gebracht worden. Er zitiert und kommentiert sehr ausführlich die Pupikofer´sche Geschichte des Thurgaus, die 1822 in Bischofszell erschien und in der ersten Hälfte „von der Urzeit bis zum Jahre 1499“ reicht. Johann Philipp interessieren vor allem die Zusammenhänge mit der Entwicklung der Abteien Reichenau und St. Gallen. Vielleicht haben wenige seiner Zeit sich so intensiv mit allen wichtigen Zeitgenossen und gleichzeitig mit der Geschichte unterhalten. Es ist ziemlich sicher, dass einige seiner kleinen Dossiers auch in die Hände von Napoleon gelangten, der vielleicht ungewollt aus Untertanen so genannte Modernisierer gemacht hatte. Als die Eidgenossen 1460 den Habsburgern den Thurgau abjagten, da änderte sich für die ansässige Bevölkerung wenig. Sie blieben Untertanen. In der Mediationsakte von 1803 sieht der Zürcher Verfassungsgeschichtler Alfred Kölz nur deshalb einen Leitbildcharakter, da es eine noch unbefriedigendere Bundesakte von 1815 gab. Und diese wurde wieder vorgebaut und mit entschieden durch die Habsburger anlässlich des Wiener Kongresses. Ich glaube wir haben ziemlich klar gezeigt, es ist immer ein Zeichen der Zeit, dass man Entwicklungen gerne von ihren Ursachen ablöst. Keine deutlichere Stimme kann es geben als die der Kritik. Einer der Redaktoren der Bundesverfassung von 1848 kam vom Thurgau. Sein Name war Johann Konrad Kern. Und hier wurde nach dem Sturz Napoleons 1815 (nach seiner 10 Jahre dauernden Kaiserzeit) ein Kanton zum Geburtshelfer der modernen Schweiz. Die untergegangene Helvetische Republik lebte weiter in den neuen Kantonen von 1803, so schrieb es der Berner Historiker Ulrich Im Hof in seinem Standardwerk „Geschichte der Schweiz“. Und einer der Großväter von Kern war Offizier unter Napoleon dem Ersten. In diesem Vortrag geht die Sache oft vor und steht vor einem chronologischem Ablauf. Gehen wir wieder in das Jahr vor 200 Jahren, denn auch Ignaz Heinrich von Wessenberg hat von seiner Stelle als geistlicher Regierungspräsident eines riesigen Bistums, das weite Teile der Schweiz umfasste, einiges zu tun und zu sagen. Innenpolitisch war die Mediationszeit der Schweiz gekennzeichnet durch verschiedene kirchen- und schulpolitische Maßnahmen, die von Konstanz aus gelenkt wurden. In einer Arbeit über die „Aufklärung im Verlag Herder“ beschrieb Prof.. Oskar Köhler (Fbg.i.Br.) das geistige Ethos des Ignaz Freiherr von Wessenberg, das im frühen 19. Jhdt. auch die Verlagsrichtung von Bartolomä Herder bestimmte. Die aargauische Kirchenpolitik und nicht nur diese folgte den Spuren des Konstanzer Bistumsverwesers, indem die reformierte wie die katholische Kirche in den Dienst der aufgeklärten Kulturpolitik genommen wurden. So hat Ignaz Heinrich beispielsweise im Dezember 1803 eine Bischöfliche Verordnung wegen Verminderung der Feiertage in den Kantonen Aargau und St.Gallen verkündet .“Im Aargau hatten die freien Ämter die Klostergebiete, selbst einzelne Städte ihre besondere Feiertagseinrichtung, während in dem vorhin österreichischen Fricktal noch die österreichische Einrichtung bestund.“ Gehen wir noch ein wenig aus dem schweizerischen Rahmen und schauen auf den Zusammensturz der alten Reichsverfassung, der durch den Regensburger Reichsdeputationsausschuss 1803 erfolgt ist. Die Abtretung des linken Rheinufers, weiter und reicher Gebiete an Frankreich hatte die Säkularisation aller geistlichen Reichsstände zur Folge, von denen nur der Kurfürst von Mainz, Dalberg als Kurerzkanzler von Napoleons Gnaden und sodann die beiden wichtigsten geistlichen Ritterorder (der deutsche Orden und der Johanniterorden) als die letzten Zufluchtsstätten für die jüngeren Söhne des katholischen deutschen Adels übrig geblieben sind. Durch die Vernichtung der geistlichen Fürstentümer hatte Österreichs Einfluss im Reiche sein Ende gefunden. Die süddeutschen Mittelstaaten schlossen sich an Frankreich an. Im Jahre 1804, als Napoleons Regententätigkeit begann, trug der Habsburger Kaiser Franz nur mehr den Titel Kaiser von Österreich. Das Habsburger Reich war ja neben der Eidgenossenschaft das weitere Beispiel eines Sprachengemischs. Die Sprachgrenzen waren nie identisch mit den politischen Grenzen. Der Umstand, dass Napoleon die Mediationsakte verfasst hatte, begünstigte sicherlich in der Schweiz die frankophone Minderheit, meint Professor Denis Tappy von der Univ. Lausanne. Eine große Familie hatte sich gegen eine andere große Familie zu behaupten. Die eine war alt und die andere hemmungslos. Und so machte man oft kein Federlesen, sondern man vermehrte seine Macht wie man konnte. Und das waren nicht nur die Napoleoniden, sondern auch andere. Im Reichsdeputationshauptschluss erhielten die Eltern des späteren österr. Staatskanzlers Metternich für Verluste ihrer linksrheinischen Gebiete das Reichsfürstentum Ochsenhausen. Johann Philipp, der ein Vetter von Clemens Wenzel war, konnte sich auch noch einiger Besitzungen im Elsass entäußern. Über die Ereignisse des Wiener Kongresses und der Beziehungen zur Familie von Napoleon, seiner Frau Louise, der habsburgischen Prinzessin, und über die Neuordnung Europas, sowie intime Ansichten und Einsichten der Schweiz von den Brüdern Wessenberg möchte ich hier nur kurz sprechen, da sich mein 2. Vortrag in diesem Haus ausführlicher damit beschäftigen soll. Von der Tagsatzung zur Bundesakte: Dass sich die Bemühungen oder sagen wir besser die erfolglosen Pläne Napoleons für ein Königreich Helvetien (mit Baden, Württemberg und Vorarlberg) zerschlagen haben ist evident, aber wenig bekannt. Golo Mann schrieb über die politische Entwicklung über das Land in der Mitte Westeuropas, welches im Osten und Süden vom Habsburg-Imperium umklammert war, dass es für die Großmächte mehr bedeutete als die Zahl seiner Einwohner und die Quadratmeilen vermuten lassen würden. Längst war die helvetische Freiheitsinsel ein ausstrahlendes Zentrum bewegender Energien gewesen. Die Schweiz bot berüchtigten Verbannten, wie dem Italiener Mazzini, aber auch dem Franzosen Louis Napoleon Bonaparte ein Asyl. Mit einigen Familienmitglieder von Kaiser Franz I. hatte Johann Philipp lebenslange Gemeinschaft, ja sogar Freundschaft. Sein Bruder Ignaz Heinrich hingegen hatte in die Gesellschaft der anderen Herrscherfamilie begeben. In den sich in den Dreißigerjahren des 19. Jhdts. in und um Konstanz gruppierten Hegauadel mischte sich ein bunte und geistreiche Gesellschaft, überwiegend wessenbergisch, also liberal-konservativ im weltlich-politischen Sinn gestimmt. Jahre hindurch bildete den absoluten Mittelpunkt dieser Gesellschaft die Napoleonidin vom Arenenberg, wie man Königin Hortense bezeichnete. Wolfgang Müller schrieb in einem Aufsatz die Vermutung, dass man diese Hofhaltung weder in Karlsruhe noch in Wien eben gern gesehen hätte; aber wir wissen es seit langem: Ignaz Heinrich, Baron von Wessenberg, stand ihr und ihrem unruhigen Sohn Louis Napoleon, dem späteren Kaiser sehr nahe. Von ihm hat Louis Napoleon den Rat angenommen, in einem für die Eidgenossenschaft wegen der Umtriebe der Napoleoniden kritischen Zeitpunkt das Gastland zu verlassen. So Wolfgang Müller, einer der Herausgeber der Schriften von Ignaz Heinrich von Wessenberg. Und Johann Philipp wie sah er diese Gesellschaft am Arenenberg? Er hat seine Äußerungen sehr sparsam gemacht. Einmal schrieb er über den französischen Präsidenten Louis Bonaparte: „Ich kenne ihn von Jugend auf, er verrieth immer viel Ehrgeiz, den seine Mutter eifrig anfachte, der Vater hingegen bekämpfte. Er träumte immer von einer mächtigen Partei zu seinen Gunsten. Hungrige Leute, die dabei auf seinen Beutel spekulierten, bestärkten ihn in seinem Traum; der Ehrgeiz machte ihn studiös. Seine Gefangenschaft gab ihm Muße um seinen Geist auszubilden und seinen Muth zu stählen. Ein ganz gewöhnlicher Mensch ist er also nicht.“ Wie wird man Johann Philipp gerecht. Seine Persönlichkeit ist leider durch Metternich in den Schatten gestellt worden. Ein Beispiel: Nach der Schlacht von Leipzig 1813 trafen sich die Sieger in Frankfurt. Kaiser Franz von Österreich und der Zar Alexander I und Metternich. Metternich sollte dann an diesem Ort eine Friedensmanifest für Frankreich entwerfen, welches die Bewunderung von Napoleon erfuhr, wie derselbe einmal in einem Gespräch mit Johann Philipp erwähnt hatte: „Das Frankfurter Manifest hat meine Position schwerstens gefährdet" sagte er Wessenberg vertraulich. Doch wo war der Ort, der Ursprungsort dieses schicksalsträchtigen Papiers. In Frankfurt stand ein Palast im Römerberg-Viertel, den hat ein Mann zu bestimmten Zwecken erbauen lassen. Er hatte seine Tochter in die Hände eines österreichischen Ministers gegeben und wollte ein standesgemäßes Zuhause vorstellen. Machen wir es kurz. Bankier Mülhens war der Schwiegervater vom Johann Philipp, der seine Tochter Marie Gertrud ehelichte und also ebenfalls Hausherr in Frankfurt war, wo sich die Wichtigen, die Entscheidungsträger am liebsten aufhielten, logierten, da es ihrem luxeriösen Geschmack entsprach. So ist also zu vermuten, dass die beschwerlichen Arbeitsnächte des Metternich, wie er an seine Frau Lorel schrieb, in nächster unmittelbarer Nähe von seinem Vetter und dessen Familie verbracht wurden. Manches an dem Manifest lässt die Inspirationen eines Johann Philipp erkennen! Eine ungewöhnliche Geschichte in ungewöhnlicher Zeit. Die Österreicher beabsichtigten zu dieser Zeit durch die Schweiz nach Frankreich einzumarschieren. Allein der Zar opponierte gegen eine Invasion der Eidgenossenschaft, ehe die Schweizer nicht zustimmten. (Dies ist wiederum einem Umstand zu verdanken, dass nämlich der Erzieher des Zaren Alexander ein Bürger des liberal französisch orientierten Kantons Waadt war, und zwar Frédéric de La Harpe.) Die Schweiz weigerte sich also ihre Beziehungen zu Frankreich abzubrechen und noch mehr, sie beließ ihr Truppenkontingent in Napoleons Armee. Wir können hier nur eine weitere Schiene zu Napoleon kurz skizzieren, und zwar die letzte Begegnung von Johann Philipp von Wessenberg mit dem Kaiser der Franzosen in Frankreich. |
||
|
||
Vom kaiserlichen Feldlager berichtet Johann Philipp ausführlich. Gemeint ist das Nachtlager in Doulevant, wo er von Napoleon empfangen wurde. Es war ein seltsames und äußerst merkwürdiges Zusammentreffen!
Über
die Schweizer Angelegenheiten beim Wiener Kongress, über die „Söhne der
Kassandra“ und andere Denkwürdigkeiten bis hin zum Kategorischen Imperativ
wird in einem folgenden Vortrag zu berichten sein! Es ist die Zeit von 1814
bis 1848. Nicolas Sombart schrieb in seinem Buch „Krise und Planung" über den "Verrat der Unterzeichner der Wiener Kongressakte (der Siegermächte) an den Patrioten". Man mag an dem Worte Verrat zweifeln, aber das viel strapazierte Wort "Patriot" dürfte wohl im sog. Kantönligeist zu finden sein. Im Grunde war man zu etlichen „Verschiebungen“ in der Schweizer Landschaft bereit gewesen. Nachdem die Schweiz derart eng mit Frankreich verbunden gewesen war, mag es erstaunen, dass sie 1815 am Wiener Kongress nicht zerstückelt und unter den Siegermächten aufgeteilt wurde. Dies wäre aber dem Geist des Wiener Kongresses zuwidergelaufen, der eine Restauration anstrebte, einschließlich einer Wiederherstellung jener Staaten, die während der napoleonischen Zeit völlig umgestaltet worden waren. Der 2. österr. Kongressbevollmächtigte Johann Philipp von Wessenberg war in der Commission für die Schweizerischen Angelegenheiten gemeinsam mit Humboldt für Preußen, Stewart und Stratford Canning für England, dem Freiherrn von Stein und Kapodistrias für Russland. Für Frankreich trat Dalberg den Beratungen ab 30. November 1814 bei. Bei ihnen handelte es sich vorzugsweise um den Anspruch des Kantons Bern auf Wiederherstellung seiner früheren Herrschaft über die Kantone Waadt und Aargau, oder wenn sich dieselbe nicht werde verwirklichen lassen, um Entschädigung für deren Verlust. Gleich in der ersten Sitzung gab Wessenberg seine Meinung dahingehend ab, dass diese Kantone der einmal erlangten Selbstständigkeit nicht wieder beraubt werden könnten. Allerdings verdiene auch der Anspruch Berns auf Schadloshaltung Beachtung. Am besten werde sie durch Berücksichtigung des Vorschlages erfolgen, einen Teil des als erobertes Land zu betrachtenden Bistums Basel hierzu zu verwenden. Da auch Preußen, England und Russland damit einverstanden waren, so wurde Wessenbergs Vorschlag als endgültiger Beschluss in diesem Sinne gefasst. Schwieriger war es, sich in einer Frage zu einigen, welche den Grenzzug der Schweiz nach außen hin und zwar gegen Österreich anging. Schon in der Sitzung vom 10.Dezember, der siebenten welcher in dieser Commission überhaupt stattfand, war von Wessenberg eine schriftliche Erklärung eingebracht worden, in welcher gesagt wurde, dass der Kaiser von Österreich weit davon entfernt sei, auf Kosten der Schweiz Rechte auf Gebietsteile geltend machen zu wollen, welche ehemals zu den in seinen Besitz übergegangenen italienischen Ländern gehörten. Er werde daher auch der Wiedereinsetzung der Schweiz in ihre früheren Grenzen nicht entgegen sein, wenn man darin eine Bürgschaft für Ruhe, ihre Unabhängigkeit und ihre Neutralität erblicke. Er, der Kaiser von Österr. sei vielmehr weiter als irgend eine andere Macht gegangen, indem er das Fricktal opferte um hierdurch die auf die Schweiz bezüglichen Gebietsausgleichungen (speziell des Aargaus) zu erleichtern. Viel Interessantes könnte man hier noch anfügen. War doch Johann Philipp einmal ein Domherr des Bistums Basel gewesen, ja mehr - ein Grund- und Lehensherr mit langer Geschichte in demselbigen. Also, dass die alten Adeligen von dieser Ecke nicht so ganz an die Trennung des Stadtkantons in Stadt- und Landkanton glaubten, das ist durch den Verlust ihrer eigenen Herrschaft begründet. Man traute eben einfach dem Volk und allen anderen in der Gegend nicht zu, das Geschick ihrer politischen Gemeinwesens zu leiten. Daher die Restauration! Allerdings ging die endgültige Trennung von Basel-Stadt und Basel-Landschaft erst nach dem für die Stadt verlustreichen Gefecht vom 3. August 1833 an der Hülftenschanze zwischen Pratteln und Liestal vonstatten. Im Februar 2003 im Palais du Luxembourg zu Paris. Der französische Senatspräsident Christian Poncelet empfängt den Schweizer Bundespräsidenten Pascal Couchepin mit seinen Kantonsdelegierten, als Vertreter des Thurgaus steht allein auf der offiziellen Liste des französischen Senats: Ernst Schlaginhaufen, der Präsident des kantonalen Großrates. St.Gallen hatte über 20 Personen nominiert. Couchepin sprach von der Mediationsakte als einem „weisen politischen Akt“. Seit 1998 ist er Schweizer Bundesrat. Sein in 2. Auflage erschienenes Buch im Verlag Neue Zürcher Zeitung trägt den Titel: "Ich glaube an die Politik." Blicken wir 2oo Jahre zurück. In den „Europäischen Annalen“, welche um die Jahrhundertwende 18./19.. von Posselt in der Cottaischen Buchhandlung zu Tübingen herausgebracht wurden finden wir die Zeilen: „Tatenarme Zeiten bedürfen keines Geschichtschreibers. Wenn selbst Zeitungsschreiber wegen Mangel wichtigeren Stoffes die Vermählungen und Ordensfeste etc. hernehmen...In unseren Tagen (es war zur Zeit von Robespierres Einführung des Kultes des höchsten Wesens als Vernunftsreligion) haben wir große, ungeheure Taten, Belagerungen, Schlachten, plötzliche betäubende Katastrophen in Cabinetten wie in Volkssenaten. Stürze von Extrem zu Extrem, die ganze physische und moralische Welt in Gärung, alles sich drängend – das ist das Pensum des neuesten Chronisten.“ Heute und in diesem Rahmen bleibe ich Ihnen, verehrte Zuhörer, noch einige Namen und Geschehnis im Kreise des Wiener Kongresses schuldig. Irgendwo muss ich ja auch im Juni hier vor Ort fortsetzen können. Es ist zu berichten über die Gattin Napoleons I., die Habsburgerin Marie Louise, die überglücklich einen Dankesbrief schrieb an den Freiherren von Wessenberg, der ihre Interessen während der schwierigen Verhandlungen im Frühling 1815 vertreten hatte. Man kann auch nicht schweigen von dem sogenannten Sekretär Europas, dem Diplomaten Friedrich Gentz, Metternichs rechter Hand, der sich über die durch Heirat vollzogene Annäherung der österr. Monarchie an Frankreich gegenüber der höchlich verbitterten Wiener Aristokratie in Szene setzen konnte. Ebenfalls zu berichten ist über das Misstrauen von Kaiser Franz , das Johann Philipps Bruder, der Konstanzer Generalvikar Ignaz Heinrich gegolten hat. Wie Lord Grey, die Blume des englischen Adels, so bezeichnete Wessenberg den englischen Premierminister in einen Brief an Metternich im Jahre 1831, diesen selbst als eine Art „europäisches Archiv“ betrachtete, so dürfen wir in verschiedenen Abteilungen des 19. Jahrhunderts eindringen und das eine oder andere Unbekannte und Interessante vortragen. Etwa wie Karl Marx zu der Formulierung kam: „Die Schweiz, scheint es, ist überhaupt eine österreichische Erfindung“ Abschließend – einige kleine Daten zur Erinnerung
Die
Gebrüder Wessenberg waren in ihrer ersten Jugendblüte um 14 Jahre herum
1786, in Zürich und sie besuchten mit ihrem Vater Lavater, Gessner
und Füssli.
|
||
Literaturliste: Elias Canetti, Masse und Macht, 1960, Claassen, Hildesheim Bosshart-Pfluger, Catherine: Das Basler Domkapitel von seiner Übersiedlung nach Arlesheim bis zur Säkularisation (1687-1803), In: Quellen u. Forschungen zur Basler Geschichte (Hg. Staatsarchiv Basel Stadt), Basel 1983 J.Ph.Nepomuk v.Wessenberg: Briefveröffentlichung in: Unveröffentl.Manuskr.u.Briefe I.H.v.Wessenberg, Bd.II, Die Briefe Johann Philipps von Wessenberg an seinen Bruder, Hg.v.K.Aland, Herder,Fbg.u.a.O.87 FN zum Gesamtverzeichnis der Brief StKN 2710 auf Seite 878! Ausschnitt aus Orginalbrief. Die Kolloquiumsakten wurden von Oberst Hervé de Weck in der Publikationsreihe des SVMM, Bern herausgegeben Autobiographische Aufzeichnungen von Ignaz H.v.Wessenberg, Hg.K.Aland, , Herder, Fbg.i.Br.,1968 und in : Alfred v.Arneth, Johann Philipp Frh.v.Wessenberg, Bd.1, Braumüller, Wien, 1898 Werner Bänziger, Es ist freilich schwer, sein eigenes Bild zu malen“ Biographien von Zschokke, Pestalozzi und Wessenberg Wolfgang Müller, Kath.Theol.Deutschlands im 19.Jhdt., 1Bd., Mü.,Kösel 1975 Weitlauff/Ries, Allg.Geschichtsforsch.Ges.d.Schweiz, krebs Basel, Briefwechsel 1 und 2 1994 Aus einem Manuskript von Wolfgang Müller, welches ich von ihm persönlich erhielt! Aus dem Briefen von Johann Philipp an I.H., 13.1.1803 (Hg.v.K.Aland):“ Müller Friedberg hat mir mehrere Höflichkeiten erwiesen.....“ Markus Schär, Beitrag im St.Galler Tagblatt v.20.2.03 mit dem Titel: Ach wir Untertanen! Alfred v. Arneth: Lebensbild von J.Ph.v.Wessenberg in 2 Bd., Bd. 1, S.16 (Braumüller, Wien, 1898) Bonstettiana Bd.IX (1801-1805, Hg.v.Do.u.P.Walser-W., Wallstein, Göttingen 1002,2 Bde (Bonstetten war Freund von Johannes von Müller in Berlin (Audienz bei Friedrich dem Großen) Geschichtl. Daten d.Gh.Bären Ersigen:Jakob Kunz wird verzeigt wegen gottlosen üppigem Treiben!! Wessenberg-Nachlass im Wiener Haus-,Hof-u.Staatsarchiv, Nr.125 (1/1851) Dorothy Gies McGuigan: Metternich, Napoleon u.d.Herzogin v.Sagan, 1979, Molden, Nicolaus Sombart. Studien zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen Selbstverständnisses in der globalen Ära. Europa Verlag, Wien, Fft.Zürich 1965, S.79 Arneth, Johann Philipp v.Wessenberg, 1 Bd., S.236f. Wien 1898, Braumüller Marx/Engels-Werke, Bd.14, s.559
|