Rede zur Ausstellung "Pierre Maria de Wessenberg,
Skizzen einer Lebensreise, "

 gehalten am 7. Juli 2002  zur Eröffnung der Ausstellung in der Städt. Wessenberg-Galerie Konstanz

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

"Pierre Maria de Wessenberg. Tagebuchskizzen einer Lebensreise" heißt die kleine Ausstellung, die wir heute in der Städtischen Wessenberg-Galerie Konstanz eröffnen. Ausnahmsweise steht diesmal nicht Ignaz Heinrich von Wessenberg, der Begründer dieses Hauses, im Mittelpunkt des Interesses, sondern sein Urgroßneffe Pierre Maria.

Pierre Maria de Wessenberg wurde 1856 in Paris geboren. Als Jugendlicher kam er nach Alt-Österreich und auf den Balkan. Später heiratete er eine Engländerin. Sein bewegtes Leben war geprägt von Aufenthalten in wechselnden Ländern. Der Kosmopolit Pierre Maria de Wessenberg war dabei nicht nur ein genauer Beobachter seiner Zeit, die bekanntlich eine Zeit der vielschichtigen Umbrüche war, sondern er war auch ein direkter und schonungsloser Kritiker seiner Epoche sowie deren Zeitgenossen. Das bevorzugte Forum seiner kritischen Auseinandersetzung war sein Tagebuch, in dem er seine Erlebnisse, seine Beobachtungen, seine Kommentare und seine Kritik in Wort und Bild festhielt.

Als Pierre Maria de Wessenberg zur Welt kam war es noch selbstverständlicher Bestandteil ein guten Erziehung, dass man nicht nur den Umgang mit der Schreibfeder erlernte, sondern auch die Einübung in die graphischen Techniken. Daher war es nur konsequent, dass sich der zeichnerisch durchaus talentierte Pierre Maria zeitlebens auch der Graphik bediente, um in seinem Tagebuch eindrückliche Begebenheiten festzuhalten. Neben das beschreibende, aufzeichnende erinnernde Wort tritt bei ihm die Zeichnung. Sie beleuchtet das Dargestellte von der unmittelbar bildhaften Seite und setzt dabei als bevorzugtes Stilmittel das übertreibende, karikierende Moment ein. Der Bogen von Wessenbergs zeichnerischem Spott spannt sich weit: Er enthält sowohl humoreske, spöttische als auch satirische Züge. Es war das jeweilige Sujet, das den Einsatz der Mittel bestimmte.

Pierre Maria de Wessenberg erweist sich mit seiner Vorliebe, Personen- und Gesellschaftskritik mittels der Karikatur zu äußern, als Kind seiner Zeit. Denn die Karikatur erlebte im 19. und frühen 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt, weil sie an der damals dominanten staatlichen Zensur groß werden konnte. William Hogarth in England, Honoré Daumier und Paul Gavarni in Frankreich, später dann in Deutschland die Zeichner der politisch-satirischen Zeitschrift "Simplicissimus" seien stellvertretend für diese Entwicklung genannt.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs zum Thema Humor und Satire.

Mit dem Wort "Humor", aus dem Lateinischen humor = Flüssigkeit, bezeichnet man die vorwiegend heitere, gelassene Gemütsbeschaffenheit eines Menschen. Zunächst bedeute die Bezeichnung Humor nur Laune, oder auch gute und schlechte Stimmung. Sie geht zurück auf Hippokrates und später auch auf die mittelalterliche Medizin, nach deren Auffassung das Temperament des Menschen auf der verschiedenen Mischung der Säfte beruht.

Seit der Renaissance versteht man unter Humor die vom Gedanken nicht unbeschwerte Heiterkeit, die aus dem Wirklichen Frohsinn zu gewinnen vermag und in der Distanz der ästhetischen Haltung wie im Spiel einen harmonischen Ausgleich zwischen sonst unversöhnlichen Komponenten vollzieht. Den menschlichen Schwächen und den Widerwärtigkeiten des Lebens bringt der Humor ein wohlwollend-verständnisvolles Lächeln entgegen. Seine Eigenart wird oft durch Zeit, Ort und Volkszugehörigkeit bestimmt, wodurch sein Verständnis mitunter erschwert wird. Genau dies können wir an den hier ausgestellten Skizzen z.T. bestens nachvollziehen.

Die Satire, von lateinisch satura lanx = bunte Schüssel, definiert das Lexikon als "der Gebrauch von Spott, Sarkasmus, Ironie usw., um Laster und Torheiten bloßzustellen, anzugreifen oder der Verachtung preiszugeben". Die Satire wurzelt in einer kritisch-aggressiven Bewusstseinslage, in einem Zustand der Entrüstung über die jeweils neuesten Auswüchse menschlicher Unzulänglichkeit oder Boshaftigkeit. Währen das Lachen nur dem Menschen eigentümlich ist, liegen die Impulse für die Satire vermutlich jenseits der menschlichen Natur, nämlich in der Psychologie unserer tierischen Ahnen. Alle gemeinschaftlich lebenden Tiere verhalten sich aggressiv gegenüber ihren Artgenossen, jede ihrer Lebens-ordnungen besitzt eine Hierarchie, die das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft gewährleistet. Um diese Ordnung zu etablieren, bedrohen sich zwei Tiere zum Beispiel so lange, bis das schwächere dem stärkeren weicht. Der Ausdruck der Verachtung beim Menschen, das spöttische Lächeln, die gekräuselten Lippen, scheinen auf diese Bedrohungsriten zurückzugehen. Vermutlich steht der satirische Impuls dieser Art des aggressiven Verhaltens näher als der offenen Attacke. Der Zorn des Satirikers wird durch sein Überlegenheitsgefühl und seine Verachtung gegenüber dem Opfer kompensiert. Er setzt alles daran, das unliebsame Gegenüber in Misskredit zu bringen. Dabei ist die wirksamste Art der Erniedrigung das herabsetzende, kränkende Lachen.

Die satirische Grundhaltung kann jedoch nur dann in Kunst übergehen, wenn sich Aggression und Lust an der Bloßstellung mit ästhetischen Merkmalen verbinden, die im Betrachter zweckfreies Vergnügen hervorrufen. Es kann geschehen, daß sich der Betrachter mit dem Standpunkt des Satirikers identifiziert und dessen Überlegenheitspose übernimmt.

In der Satire müssen sich jedoch noch andere Quellen des Vergnügens finden, wie etwa Zeichen oder Bedeutungsmuster oder jene Art von Gedankenverbindung, die wir Witz nennen. Um eine echte Satire zu schaffen, muss der Künstler mit den leidvollen Problemen dieser Welt vertraut und selbst davon betroffen sein, er muss zugleich aber auch genügend Distanz zu dieser Welt besitzen. Piere Maria de Wessenberg verfügte augenscheinlich über beides.

In der Satire lösen sich Gereiztheit und Erbitterung, die aus der Beziehung zwischen Personen entstehen können, in Wohlgefallen auf, sobald sie in eine fulminante absurde Figur eingehen, die der tatsächlich existierenden Person zugleich ähnlich und unähnlich ist. Die echte Satire lässt sich am Vermögen zur Abstraktion erkennen. Witz und Komik sind die Mittel, durch die die Widrigkeiten des Lebens verwandelt werden. Dazu kommt noch das Element der Phantasie, das jeder echten Satire innewohnt. Der Satiriker zeichnet kein objektives Bild der Zu- und Missstände, denn bloßer Realismus wäre zu deprimierend. Stattdessen liefert er eine Travestie einer Situation, wodurch unsere Aufmerksamkeit unmittelbar auf die Wirklichkeit gelenkt wird, uns aber zugleich die Chance gegeben wird, ihr zu entkommen. Zur echten Satire gehört also beides: die aggressive Attacke und die phantastische Vision einer verwandelten Welt.

Pierre Maria de Wessenberg verfügte sowohl über Humor als auch satirische Begabung. Seine Tagebuchzeichnungen, diese kleinen, aber treffsicheren Karikaturen, belegen es. Personen werden mit spitzer Feder auf ihre Wesensmerkmale reduziert und ihre charakteristischen Eigenschaften übertreibend hervorgehoben. Zielsicher erfasst Wessenberg die Komik oder Absurdität einer Situation und bringt diese in einem treffenden Bild auf den Punkt. Und das kleine Format seiner nur auf den ersten Blick harmlos wirkenden Zeichnungen erweist sich dabei als kalkuliertes Mittel, das den Betrachter zum genauen Hinschauen geradezu zwingt.

Barbara Stark