Streitsache Schlatthof zwischen v. Blarer und v.Wessenberg

 

Die Schlattgült (1615 - 1825)

Man zählt das Jahr 1615. Der Habsburger Matthias trägt als Kaiser die Krone des heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Josef Wilhelm Rink von Baldenstein ist von Gottesgnaden Bischof zu Basel, des heiligen römischen Reiches Fürst, eines kleinen geistlichen Reichslandes im äußersten Südwesten. Er residiert wie bereits mehrere seiner Vorgänger nicht mehr in Basel, dem früheren Zentrum des Bistums, sondern im jurassischen Pruntrut. In Burg im Leimental sitzt Johann Christoph von Wessenberg auf der dortigen Burg. Er ist weit gereist, einflussreich und begütert. So gehört ihm auch der Schlatthof in den Gemarkungen von Aesch in der bischöflichen Vogtei Pfeffingen, vor unvordenklichen Zeiten ein österreichisches Lehen, jetzt aber wohl eher als Alodial -d.h. Eigengut, über das Christoph von Wessenberg frei verfügen kann.

Er verkauft es denn auch ohne weitere lehensrechtliche Bindung an Hans Conrad von Flachsland. Der Kaufpreis besteht nur zum Teil aus barem Geld (5'000 Pfund). Der Verkäufer lässt sich darüber hinaus Ländereien des Käufers nahe von Burg übertragen. Der Rest besteht in einer namhaften Naturalleistung. Der Käufer hat jährlich an Martini 16 Viernzel (1 Viernzel entspricht ca. 300 Liter) Frucht, wovon 2/3 Dinkel und 1/3 Hafer nach Schloss Burg zu liefern. Diese Klausel bald als Gült, bald als Bodenzins benannt, wird während gut 200 Jahren von sich reden machen.

Nach diversen Handwechseln wird im Jahre 1737, also mehr als 120 Jahre nach dem Verkauf von Christoph von Wessenberg, Obervogt Franz Jakob Anton Blarer von Wartensee Eigentümer des Schlatthofes. Nach weiteren fast 90 Jahren werden fünf seiner Enkel den Hof ihrerseits weiter veräußern. Noch werden mehrere Eigentümerwechsel stattfinden, bis es nach und nach der Christoph Merian Stiftung gelingt, den inzwischen auf drei Hofeinheiten aufgeteilten Besitz (von Süden nach Norden Schürhof, hinterer/alter und vorderer/neuer Schlatthof) zu erwerben und zu einem nach biologischen Grundsätzen geführten Gehöft auszugestalten.

Wie ging es nun weiter mit der Naturalleistung aus dem Jahre 1615? Dass sie vielleicht mit Ausnahme der 30er Jahre des 17. Jahrhunderts während des 30- jährigen Krieges klaglos erfüllt und somit auch anerkannt wurde, bestätigt u.a. eine Quittung vom 22. März 1775, ebenso ein Pachtvertrag vom 20.1.1789 , laut welchem dem Pächter (Beständer genannt) von Seiten der Blarer-Erben die Pflicht zur Leistung des Schlattzinses auferlegt wurde.

Doch ganz kam die Sache nie zur Ruhe, denn Wessenbergs versuchten offenbar bereits bald nach dem Erwerb durch Franz Jakob Anton Blarer die ursprünglich möglicherweise wohl lehensrechtliche Bindung wieder herzustellen. Blarer sollte lehensrechtlich in Pflicht genommen werden! Dieser wurde aufgefordert, sein Eigentum nachzuweisen, was er nach Einholung einer Rechtsauskunft bei der bischöflichen Verwaltung ablehnte. Der Bischof

bestätigte B!arer, dass ihm der Schlatthof  als Alodial - also. Eigenbesitz zustehe,  und dass im Falle von Differenzen einzig und allein die blschöflliche Zuständigkeit gegeben sei.

1789 bricht die französische Revolution aus. 1792 besetzen die französischen Revolutionstruppen das Fürstbistum, das kurz darauf als Departement Schreckenberg dem französischen Hoheitsgebiet einverleibt wird. Blarers befinden sich zunächst zusammen mit dem Fürstbischof auf der Flucht und werden enteignet. Der Schlatthof bildet für die Franzosen einen wichtigen Stützpunkt. Sie sind es, die von nun an die Früchte dieses ganzen Gebietes verzehren. Es kann mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Schlatthofpächter, sofern er überhaupt noch dort geduldet wurde, seiner Leistungspflicht gegenüber Wessenbergs nicht mehr nachkommen konnte.

Man sollte meinen, dass unter diesen Umständen niemand daran dachte, altes Lehensrecht wieder aufleben zu lassen, schon gar nicht auf französischem Hoheitsgebiet, doch weit gefehlt! Im Jahre 1795 verurkundet der habsburgische Lehenshof in Konstanz namens Kaiser Franz II. einen Lehensbrief über die Schlatthof-Gült. Lehensträger sind die drei noch minderjährigen Söhne des verstorbenen Philipp Karl von Wessenberg, darunter Johann Nepomuk Philipp, vertreten durch ihren Vormund Anton Freiherrn von Baden. Ihnen wird die Schlatt-Gült "zu einem rechten Mannslehen allergnädigst verliehen". Der Vormund schwört namens seiner Mündel u.a. "auch sonsten alles das zu leisten, was ein getreuer Lehensträger seiner Lehensherrlichkeit schuldig und gebunden ist".

Es ist einige Jahre später Johann Philipp persönlich, der sich den Fortbestand der Schlatthof-Gült nach französischem Recht von einem Juristen des Gerichtes in Colmar am 4. Prairéal des Jahres 11 der Republik, also 1803 gutachtlich bestätigen lässt. Blarers ihrerseits lehnen ebenfalls unter Berufung auf das französische Revolutionsrecht, das alle alten Privilegien abgeschafft hat, jede weitere Leistung ab.

Am 6. Januar 1809 verkauft Johann Philipp auch als Vertreter seiner Geschwister die Güter der Familie in den Gemeindebännen von Burg und Liebenzwiller an die Gebrüder Heinrich und Theodor Mühlens, Bankiers in Frankfurt am Main. (Heinrich Mühlens ist Johann Phillips Schwiegervater.) Eingeschlossen ist ausdrücklich die Schlatthof-Gült. Kaum 1 1/2 Jahre später verkaufen die beiden Mühlens die nämlichen Güter zweifelsohne gewinnbringend an Jacques Javal, Gutsbesitzer (zu 5/6) und Pierre Wickelhausen, Kaufmann (zu 1/6), beide in Colmar. Diese verklagen nun am 14. Juli 1813 die Blarerischen Erben als Eigentümer des Schlatthofes beim Zivilgericht in Delsberg, und zwar auf Bezahlung des Schlatthofzinses seit 1792 und auf Feststellung des Fortbestandes dieser 200 Jahre alten Naturalleistung. Der Ausgang des Prozesses ist (noch) nicht bekannt. Doch darf angenommen werden, dass eine Lösung zu Stande kam. Jedenfalls ist im Kaufvertrag von 1825 zwischen fünf Blarererben als Verkäufern und Jakob Christoph Schuler als Käufer keine Spur mehr von der Schlatt-Gült zu finden. Sie muss also untergegangen sein!

Zusatzbemerkung vom 6.10 2004:

Am 18. September 1820 entscheidet die inzwischen für Bodenzinsprozesse als zuständig erklärte baslerische „löbliche Haushaltung“ – eine Art baslerischer Finanzkontrollstelle mit richterlicher Spezialkompetenz – zugunsten der Beklagten und weist die Bodenzinsansprache der Kläger, also der Herren Javal und Wickelhausen, als „feodal“, d.h. lehensrechtlicher Natur, ab. Der dagegen von den Klägern erhobene Rekurs an den Basler Kleinen Rat wird von diesem mit Entscheid vom 23. Mai 1821 folgendermassen gutgeheissen:

 

   „übel gesprochen und wohl revidiert“

  wird festgestellt, "die Familie von Blarer als
  Besitzerin des Schlatthofes sei gehalten,
  das auf denselben haftenden Bodenzins-
  gefälle von 16 Viernzel Frucht … jährlich
  auf Martini fällig den Herren Rekurrenten
  zu entrichten und ihnen auch die Rück-
  stände nach Anleitung des Gesetzes
  vom 06. August 1816 § 2 abzutragen.

  Kanzlei des Kantons Basel.“

 

Zwar gibt es anschliessend verwaltungsintern noch weitere Probleme, weil nach Ansicht des Bezirksschreibers von Arlesheim das Bodenzinsrecht auf dem Hof selbst – heute würde man sagen dinglich – hafte und nach wie vor gegenüber einem allfälligen Käufer des Hofes geltend gemacht werden könnte, dem allerdings das Recht, auf die von Blarer’schen Erben zurückzugreifen, also Regress zu nehmen, zugestanden wird.

 

Es darf angenommen werden, dass die unterlegenen Pflichtigen schliesslich, wie in anderen Fällen auch geschehen, den Schlatt-Bodenzins ablösten, also auskauften, denn im Kaufvertrag von 1825 zwischen fünf Blarererben als Verkäufern und Jakob Christof Schuler als Käufer wird die Schlatt-Gült nicht mehr erwähnt. Es darf also angenommen werden, dass sie ungefähr 210 Jahre nach ihrer Begründung endgültig untergegangen ist!***

 

Dass die Prozessakten vor der baslerischen „Haushaltung“ schliesslich doch noch gefunden werden konnten, ist den Hinweisen von Josef Baumann-Degen, Historiker und Alt-Rektor Muttenz und der wiederholten Nachsuche von Mireille Othenin-Girard, stellvertretende Staatsarchivarin Liestal zu verdanken (Staatsarchiv Baselland AA 1010, Lade L 183, Aesch, Bd. 0685 D5 und 0685 D2).
 

Dr. Christoph von Blarer, Aesch